Prozesserklärung / Amtsgericht HH-St. Georg // 26.7.13

Prozesserklärung zum Prozess gegen einen Kieler Antifaschisten am 26.7.13 in Hamburg anlässlich des Naziaufmarsch in Hamburg am 2. Juni 2012

Ich bin heute angeklagt, weil mir auf Grundlage der Aussagen dreier Polizisten vorgeworfen wird, am Abend des Aufmarsches von etwa 600 Neonazis am 2. Juni 2012 in Hamburg-Wandsbek am Hamburger Hauptbahnhof einen dieser Polizisten mit einer abenteuerlichen Schlag-Knie-Kombination angegriffen und verletzt zu haben und mich bei der anschließenden Festnahme zur Wehr gesetzt zu haben. Vorausgegangen sei meinem angeblichen Angriff der Versuch seiner Polizeieinheit, mich und andere als Antifaschist_innen ausgemachte Personen durch Umzingelung davon abzuhalten, in das Bahnhofsgebäude zu gelangen, das etwa zeitgleich von abreisenden Neonazis passiert worden sein soll.

Wir werden im Laufe des Prozesses voraussichtlich noch Polizei-eigene Videoaufzeichnungen von der Abführung meiner Person zu Gesicht bekommen, die nicht zufällig erst nach den vermeintlichen Handlungen, die mir vorgeworfen werden, einsetzen, aber trotzdem eine andere Version des Geschehens als naheliegender erscheinen lassen: Da physischer Widerstand ohne übernatürliche Kräfte nahezu eine Sache der Unmöglichkeit ist, wenn drei gepanzerte Personen ihre volle Körperkraft einsetzen, um eine ungepanzerte Person auf dem Boden zu fixieren, wird es wohl auch keinen entsprechenden Widerstand gegeben haben. Und wenn der angebliche Täter, also ich, mit blutiger Nase über den Bahnhofvorplatz und vorsätzlich gegen eine Schiebetür geschubst wird, drängt sich der Verdacht auf, dass irgendeine Art von Schlagkombination wohl kurz zuvor eine Körperverletzung hervorgerufen hat, Empfänger und Absender in den der Anklage zu Grunde liegenden Aussagen aber offensichtlich vertauscht wurden. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich anschließend während einer Odyssee durch verschiedene Polizeiwachen, Gefangenenzellen und Amtszimmer noch etwa fünf Stunden meiner Freiheit beraubt wurde.

Nun könnte ich empört feststellen: „Mir ist hier ganz offensichtliches Unrecht widerfahren, dies ist ein Skandal!“ Und diesen gelte es nun mit der Kundtat meines Wissens über die tatsächliche Vorgänge am frühen Abend des 2.6., Tatort Hauptbahnhof, aufzudecken, um vor dem unabhängigen Gericht seine Richtigstellung zu erwirken. Dies ist aber nicht die vordergründige Motivation, die mich veranlasst hat, Widerspruch gegen den für Gericht und Staatsanwaltschaft äußerst komfortablen, weil arbeitssparenden und im nicht-öffentlichen Raum zum Ziel führenden, Strafbefehl einzulegen, den ich vor ein paar Monaten erhalten habe. Denn dagegen, mir als linker Antifaschist, der hier auch nicht vor hat, seine politischen Überzeugungen und damit auch nicht die selbstredende Teilnahme an den Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch am 2.6. zu leugnen, vor Gericht realistische Chancen auszumalen, sprechen durch zahllose Fälle unterfütterte Erfahrungswerte. Diese veranlassen mich im Gegenteil leider dazu, anzunehmen, dass bürgerliche Gerichte spätestens bei der heutigen Konstellation – unbelehrbarer linker Trotzkopf vs. drei im Verprügeln von Demonstrant_innen und seinem juristischen Nachspiel wohl erfahrene Angehörige einer kasernierten Truppe Bereitschaftspolizist_innen – schnell mal seine vorgebliche Unabhängigkeit verliert und Judikative und Exekutive eine letztlich kaum verwunderliche Interessengleichheit bei der Wahrung ihrer Sicherheit und Ordnung beweisen. Eine Aussage meinerseits würde somit kaum mehr als den Zweck erfüllen, als den Schein einer unvoreingenommen und jenseits politischer Interessen urteilenden Gerichtsbarkeit zu wahren, um am Ende trotzdem der Einheitsaussage des von Beruf aus glaubwürdigen polizeilichen Gegenübers zu unterliegen.
Ein Fünkchen Hoffnung, hier heute vielleicht trotzdem noch meinen Kopf ein Stück weit aus der Schlinge zu winden, setze ich wenn überhaupt darin, dass die drei Brandenburger Kollegen, die uns später noch im Gerichtssaal beehren werden, dann vielleicht doch nicht so routiniert sind, wie bei der am 2.6. unter Beweis gestellten in Perfektion praktizierten Disziplin des Aufmischens von Demonstrant_innen. Für einen Genossen hat dieser eher die Regel bestätigende Ausnahmefall ebenfalls im Zusammenhang mit dem 2.6.2012 im Februar ja immerhin überraschenderweise einen vorläufigen Freispruch bedeutet.

Aber was verspreche ich mir stattdessen davon, wenn ich mich im Vorfeld des Prozesses für die Anklagebank entschieden habe, obwohl dies wohl einer der letzten Orte ist, an dem man für Gewöhnlich gerne Platz nimmt? Nun, ich bin es leid, dass das Gelaber von der zunehmenden Gewalt gegen Polizist_innen, dass auch im Nachklang des 2.6. mal wieder, z.B. unter erheblicher Beihilfe der rechtspopulistischen „Deutschen Polizeigewerkschaft“, durch die Mainstream-Medien geisterte, unwidersprochen hinzunehmen. Insbesondere dann, wenn auch meine zu erwartende Verurteilung u.a. den Zweck hat, Zahlen herbeizuführen, die dieses Märchen dann statistisch belegen sollen. Dass die Aussagekraft solcher Beweisführungen über tatsächliche Verhältnisse dann auch tatsächlich der eines Märchens gleichkommt, bezeugen u.a. die heute zu verhandelnden Geschehnisse: Polizeiübergriffe, wie sie ganz alltäglich alle möglichen Menschen erleiden müssen, die sich den nicht selten auch willkürlichen Spielregeln der selbstherrlichen Hüter_innen der bürgerlichen Ordnung nicht fügen wollen – z.B. aus politischen Gründen oder weil sie lieber ihren eigenen, viel besseren Regeln vertrauen – oder dies gar nicht können – etwa weil ihnen das hierzu nötige Kleingeld oder das richtige Ausweisdokument fehlt – gehen nicht als solche in die öffentliche Wahrnehmung ein. Im Gegenteil: Ist dem Kollegen bei einem Einsatz mal wieder Faust oder Knüppel über das gesetzlich gebilligte Maß hinaus ausgerutscht, etwa weil das Feindbild passte oder ihm nicht die gewünschte Unterwerfung entgegengebracht wurde, ist die Anzeige mit umgekehrten Vorzeichen schnell geschrieben, die Aussage abgestimmt, die herzzerreißende Pressemitteilung über die Polizei als Opfer inkl. Forderung nach „drastischen Strafen durch die Justiz“ und keinen „Kuschelskurs mit Antifaschisten“ in Umlauf gebracht und das Urteil damit bereits weitestgehend festgeschrieben. Und – voilà : Obwohl die Straße ein anderes Lied zu singen weiß, nimmt in den Parlamenten, den Medien, an den Stammtischen und wahrscheinlich sogar in der polizeilichen Selbstwahrnehmung nun nicht mehr Polizeigewalt, sondern Gewalt gegen Polizist_innen zu.

Aber auch eine andere Funktion eint bürgerliches Märchen und Propaganda à la DPolG und Verbündete: Beide arbeiten bewusst mit Unwahrheiten, die gezielt verbreitet und so penetrant wiederholt werden, dass selbst der nüchterne Verweis auf das überdeutliche Verhältnis von 450 während des Polizeieinsatzes am 2.6. verletzten Antifaschist_innen gegenüber 19 angeblich verletzten Beamten nicht mehr gegen deren Horrorszenario eines „in Schutt und Asche gelegten Stadtteils Wandsbek“ anzukommen weiß. Aber es ist nicht nur der polizeiliche Eigennutz nach belieben die Sau raus lassen zu dürfen, der dahinter steht, sondern es geht vielmehr noch auch um eine übergeordnete gesellschaftliche Zielsetzung. Das Zerrbild des zunehmend geschundenen Opfers Polizeibeamte_r und die Lüge von dem Ansteigen von Kriminalität und Gewalt sind die propagandistische Vorbereitung dafür, ohne breiten gesellschaftlichen Widerspruch auf gesetzgebender Ebene das Feld der polizeilichen Befugnisse immer mehr auszuweiten, das Strafmaß zu erhöhen sowie Grundrechte einzuschränken und auszuhöhlen. Ziel solcher Maßnahmen ist es natürlich nicht, das Leben der Menschen sicherer zu gestalten, wie dann suggeriert wird, sondern einen staatlichen Kontroll- und Repressionsapparat zu installieren, der die herrschende Ordnung selbst dann in der Lage ist aufrecht zu erhalten, wenn das soziale Konfliktpotenzial der gleichzeitigen Verarmungs- und Verunsicherungspolitik als Prävention und autoritäre Antwort auf die andauernde kapitalistische Weltwirtschaftskrise sich auch hier im Land der Profiteure einmal, in welcher Form auch immer, droht aufzubrechen, wie es – im Vergleich vielleicht etwas hinkend – anderswo längst der Fall ist.

Und an diesem Punkt lohnt es sich dann auch mal, kurz von der moralisierenden zur nüchternen Perspektive überzugehen: Denn solange es den beruflichen Tätigkeiten des_der Polizist_in inbegriffen ist, der Gesetzeslage entsprechend Wohnungslose von öffentlichen Plätzen zu vertreiben, rassistische Kontrollen durchzuführen, Abschiebungen zu vollziehen, Mieter_innen aus ihren Wohnungen zu räumen, Ladendiebe festzunehmen, von Zeit zu Zeit mal einen x-beliebigen Störenfried aus nichtigen Gründen zu erschießen oder eben Nazi-Demos durchzusetzen, kurzum: eine Ordnung zu hüten, die linke Aktivist_innen gemeinhin als menschenfeindlich ablehnen, herrscht zwischen diesen und der Polizei ein Interessengegensatz, den selbst die noch so ernst gemeinteste Deeskalationstrategie nicht in der Lage wäre, zu versöhnen. Folglich ist es kaum vermeidbar, dass linke Aktivist_innen und die Polizei von Zeit zu Zeit aneinandergeraten. Am heute zu verhandelnden Tag sind tausende Antifaschist_innen mit dem Ziel auf Hamburgs Straßen unterwegs gewesen, den Naziaufmarsch nach Möglichkeit zu verhindern. 4500 Polizist_innen wiederum waren damit beauftragt, ihn mit allen Mitteln möglich zu machen. Dieser Antagonismus wurde an diesem Tag in unzähligen Fällen physisch, in übergroßer Mehrheit zu Ungunsten der Meinigen.
Doch solange deutsche Neonazis in unfassbarer Regelmäßigkeit Menschen ermorden können, wie erst am Mittwoch letzter Woche wieder im bayrischen Kaufbeuren geschehen, als das Pack auf einem Volksfest einen 34-jährigen aus Kasachstan stammenden Mann aus rassistischen Gründen totprügelte und danach für ein Gros der örtlichen Bevölkerung die entscheidende Sorge gewesen zu sein scheint, dass es die Fortsetzung seiner Festwoche gefährdet sah, weiß ich, dass meine Wut und mein Verantwortungsbewusstsein, dabei nicht tatenlos zuzusehen, gegenüber der Angst vor drohender Gefährdung meiner körperlichen Unversehrtheit und staatlicher Bestrafung obsiegen wird und auf welcher Seite ich auch das nächste Mal stehen werde, wenn die Polizei den Mördern den Weg bahnt und ihnen die Möglichkeit gibt, das ideologische Hintergrundgebrüll zu dem allein seit 1990 mindestens 184-fachen neonazistischen Töten in der BRD auf die Straße zu tragen.

Mein Dank gebührt den Genoss_innen, die mich hier heute im Gerichtssaal unterstützen und allen Menschen, die trotz Polizeigewalt und Repression weiter für ein soziales Miteinander aller in grenzenloser Gleichheit, Freiheit und Solidarität aufbegehren. Insbesondere möchte ich aus aktuellem Anlass denjenigen Anwohner_innen meine Hochachtung aussprechen, die in den vergangenen Wochen eindrucksvollen Widerstand gegen rassistische Polizeischikanen in Altona geleistet haben. Damit möchte ich schließen und habe ansonsten keine weiteren Worte zu der nun folgenden tragisch-komischen Vorstellung zu verlieren.