Gegen Polizeigewalt: Kundgebung und Besuch beim Ortsbeirat Gaarden

Gestern, am 20.7.2016, haben etwa 50 Anwohner_innen und Aktivist_innen eine Kundgebung gegen Polizeigewalt auf dem Vinetaplatz in Kiel-Gaarden abgehalten. Kritisiert wurde ein Polizeieinsatz während einer Party im Stadtteil, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden und es zu weiteren Beleidigungen und Drohungen der eingesetzten Beamt_innen gegen Party-Besucher_innen kam. Vermutet wird, dass der Einsatz „eine Machtdemonstration des Staates gegenüber Menschen, die der linken Szene und Subkultur zugeordnet werden“ war. Die Kritik richtete sich aber nicht nur gegen diesen bestimmten Vorfall, sondern thematisierte auch, dass Polizeigewalt „viel zu selten thematisiert und in der Öffentlichkeit verhandelt“ werde.

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Nach der Kundgebung besuchten einige Aktivist_innen die Sitzung des Ortsbeirat Gaarden, um sich dort Gehör zu verschaffen, was ihnen im Vorfeld erschwert wurde.

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Im folgenden dokumentieren wir den Flyer, der auf der Kundgebung verteilt wurde:

Polizeigewalt…

…ist kein Einzelfall!

Trotzdem wollen wir mit diesem Flyer auf einen konkreten Übergriff durch die Polizei aufmerksam machen, um so das Schweigen über Polizeigewalt zu brechen und andere Betroffene zu motivieren, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen: Am 18. März feierten wir eine WG-Party im Kieler Stadtteil Gaarden. Im Zusammenhang damit kam es zugewaltvollen Übergriffen durch die Polizei. Obwohl diese zum jetzigen Zeitpunkt schon vier Monate her sind, gab und gibt es unsererseits immer noch viel Redebedarf zu den Vorkommnissen. In wöchentlichen Treffen, welche seit dem Vorfall stattfinden wurde beschlossen, die Geschehnisse öffentlich zu thematisieren. Von Seiten der Stadt wurde uns nicht genehmigt, auf dem Ortsbeirat Gaarden zu sprechen und dort unser Anliegen vorzutragen.

Was ist passiert?

Gegen 1.30 Uhr kam die Polizei das erste Mal und drohte uns aggressiv die Party zu räumen, würden wir die Musik nicht leiser stellen. Dieser Forderung kamen wir nach, die Polizei kam jedoch gegen 2.15 Uhr erneut. Noch bevor sie das Haus betraten, kam es zu den ersten körperlichen Übergriffen auf eine Besucherin, die die Party gerade verlassen hatte: Sie wollte uns über das massive Aufgebot der Polizei auf der Straße informieren (5-6 Polizeibusse; 3-4 Polizeiautos) und stand vor der Haustür. Dies wollten die Beamt*innen durch erste körperliche Übergriffe unterbinden und schlugen ihr dabei ins Gesicht.

Schon zu Beginn des Einsatzes zeigte sich uns die Gewaltbereitschaft der Polizist*innen: Mit acht Beamt*innen kamen sie an die Wohnungstür und forderten uns unter Androhung einer Räumung auf, die Party zu beenden. Auch dieser Forderung kamen wir widerstandslos nach und verließen die Wohnung. Währenddessen stellten sich die Polizist*innen im Spalier an die Treppe und forderten die 28 Partygäste auf, schneller zu gehen. Auf unsere Kritik an ihrem überspitzten Vorgehen gingen die Beamt*innen nicht ein, stattdessen wurden einige Partybesucherinnen vor der Haustür mit Pfefferspray attackiert.

Unten vor der Haustür entspannte sich die Situation anfangs jedoch: Wir standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten uns über das aggressive und rabiate Vorgehen der Beamt*innen, einige Partygäste beschwerten sich über das gewaltvolle Handeln, während eine Besucherin einen Krankenwagen für eine von Pfefferspray attackierte Person rief.

Die Polizist*innen merkten in Einzelgesprächen immer wieder an, dass wir die Straße verlassen sollten und drohten, die Straße zu räumen, wenn wir dem nicht nachkommen würden. Wir erwiderten, dass wir gemeinsam auf den Krankenwagen warten werden, um nicht einzelne Personen weiteren Gewaltmaßnahmen der aggressiv gestimmten Beamt*innen auszusetzen, nach Eintreffen des Wagens jedoch unverzüglich gehen werden.

Daraufhin kamen weitere Polizist*innen mit zwei Hunden. Die nun ca. 25 Beamt*innen (überwiegend männlich; zwischen 20 und 30 Jahre alt) gingen auf die 23 noch anwesenden Partygäste mit Pfefferspray und den Hunden los. Drei Besucherinnen wurden aus der Gruppe gezogen und von den Polizist*innen gewaltvoll zu Boden gedrückt. Eine der Betroffenen wurde so sehr getreten, dass sie eine Gehirnerschütterung und Prellungen davontrug.

Der Besucherin, für die bereits der Krankenwagen gerufen worden war, wurde angedroht, ihr die Augen auszuspülen um so wahrscheinlich die offensichtlichen Spuren der ihr widerfahrenen Gewalt gering zu halten, während sie von zwei Polizisten zu Boden gedrückt wurde.

Die übrigen Gäste wurden die Straße hoch geschubst und mit Pfefferspray und Hunden angegriffen, als „kleines Stück Scheiße“ und „Schlampe“ beschimpft, außerdem wurde ihnen gedroht, die Hunde von der Leine zu lassen und ihnen „die Fresse so was von einzuschlagen“.

Mehrere Male wurde der Krankenwagen gerufen, jedoch betonten sowohl die Polizist*innen als auch der Rettungsdienst, dass lediglich die Polizei den Rettungswagen rufen könne und dieser nicht kommen würde.

Nachdem endlich doch ein Krankenwagen eintraf und zwei der Betroffenen der Zugang zu diesem gewährt wurde, nötigte die Polizei unter Einsatz von Hunden die übrigen Partygäste die Straße hoch zugehen. Dabei wurde ein Partygast von einem der Hunde am Brustkorb verletzt, ein anderer von einem Beamten unvermittelt zu Boden geschubst. Ein Großteil der Anwesenden erlitt außerdem Reizungen und Schwellungen durch die Pfeffersprayattacken.

Anwohner*innen, erzählten uns später, dass sie beobachten konnten, wie die Polizeibeamt*innen sich nach dem Einsatz abklatschten und einige Polizeiautos durch Gaarden Streife fuhren und Partybesucher*innen auf dem Nachhauseweg verfolgten.

Wie bewerten wir die Geschehnisse?

Dieser gewalttätige Überfall der Polizei auf uns als Besucher*innen einer WG-Party und den Machtmissbrauch der Polizeibeamt*innen verurteilen wir aufs Schärfste.

Eine WG-Bewohnerin bekam eine Anzeige wegen Lärmbelästigung. Dies sehen wir als Versuch an, das aggressive und rabiate Handeln der Polizeibeamt*innen zu legitimieren und zu rechtfertigen. Trotzdem oder gerade deswegen muss sich die Polizei Fragen nach der Verhältnismäßigkeit gefallen lassen: Braucht es für eine Party mit weniger als 30 Besucher*innen tatsächlich 5Polizeibusse, 3Polizeiautos, 25 Polizist*innen und 2 Polizeihunde? Und kann die Begründung dann tatsächlich die Ordnungswidrigkeit „Lärmbelästigung“ sein? Oder ist dies nicht viel eher eine Machtdemonstration des Staates gegenüber Menschen, die der linken Szene und Subkultur zugeordnet werden? Denn wir begreifen uns als Teil dieser und sehen den Übergriff als Ausdruck von Diskriminierung und Repression, mit denen Staat und Staatsgewalt gegen uns vorgeht.

In unseren Augen spielt es auch eine Rolle, dass Gaarden ohnehin als „sozialer Brennpunkt“ gilt. So werden die im Stadtteil lebenden Menschen häufig als „soziale Verlierer“ stigmatisiert, da sie nicht so funktionieren können oder wollen, wie es in der heutigen Leistungsgesellschaft gefordert wird.

Physische und psychische Gewalt werden eingesetzt, um Menschen zu brechen, einzuschüchtern und ihnen so zu zeigen, dass ihr Lebensstil, ob selbst gewählt oder nicht, in diesem System nicht erwünscht ist. In Stadtteilen wie Gaarden und in bestimmten Szenen und Milieus ist Polizeigewalt somit nicht selten. Jedoch wird diese viel zu selten thematisiert und in der Öffentlichkeit verhandelt. Dies liegt zum einen an den begrenzten Möglichkeiten, denn mediale Zugänge und Sprechpositionen liegen meist nicht in den Händen der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen. Zum anderen ist die Bedrohung durch die Staatsgewalt schon fast zum Normalzustand geworden und wird dementsprechend als ein solcher empfunden. Hinzu kommt, dass Anzeigen gegen Polizeigewalt nur in ca. 1% der Fälle nachgegangen wird. Die Betroffenen werden so ohnmächtig gehalten gegen die Gewalt die ihnen von Seiten der Polizei und somit des Staates widerfährt.

Wir wollen uns nicht in diese Position drängen lassen. Wir wollen die uns widerfahrene Polizeigewalt öffentlich machen, um uns selbst und andere Betroffene zu stärken und zu ermutigen, sich der Gewalt und der Einschüchterung nicht zu beugen.

Verletzungen durch den Polizeieinsatz:

– 1 Gehirnerschütterung

– Mehrere Prellungen am Brustkorb

– Diverse Reizungen und Schwellungen durch Pfefferspray

Kieler Nachrichten (22.7.2016):


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