„Wearing badges is not enough in days like these!“ – Flugblatt 14.12.2012 / 5-Jahres-Party Alte Meierei Kiel

Liebe Freund_innen, Genoss_innen, Konzertbesucher_innen,

in diesen Tagen im Winter 2012/2013 feiern und reflektieren wir das fünfjährige Bestehen der Autonomen Antifa-Koordination Kiel und freuen uns heute zusammen mit Euch und den Genoss_innen von Feine Sahne Fischfilet aus Rostock, ContraReal aus Hamburg und den Detectors aus Kiel in der Alten Meierei ein großes Fest zu feiern!

Ursprünglich sollte zum heutigen Tag eine Broschüre erscheinen, die sich ausführlich mit der Geschichte der Autonomen Antifa-Koordination Kiel beschäftigt. Diese ist leider nicht rechtzeitig fertig geworden, wir können Euch allerdings heute mitteilen, dass dieser Rückblick von uns auf die antifaschistische Politik in Kiel der letzten fünf Jahre und darüber hinaus im Januar erscheinen wird. Die Broschüre wird an einigen Orten in Kiel erhältlich sein und ist über unsere Kontaktmöglichkeiten bestellbar.

Knapp fünf Jahre Autonome Antifa-Koordination bedeuten unzählige Stunden Treffen, mehrere Dutzend Veranstaltungen, so einige eigenständige oder Bündnis-Aktionen, regelmäßige Anfälle von Hektik, um spontane Gegenaktivitäten bei kurzfristig bekannt gewordenen Naziumtrieben aus dem Boden zu stampfen, das Organisieren von Solidarität, stets offene Augen und Ohren, zentnerweise an Wände, Stände und Hände verteilte Propaganda, zigtausend geschriebene Zeilen, eine Menge mehr oder weniger organisierte Demoteilnahmen im norddeutschen Raum und darüber hinaus, der eine oder andere erbettelte und wohl investierte Soli-Euro, hier ein paar blaue Flecken, dort eine Vorladung und so einiges mehr.

Nichts also, wofür die autonome Linke in Kiel nicht schon vor uns eine Menge Zeit und Energie aufgebracht und etwas, was es in ähnlicher Form sicher auch bei Abwesenheit unserer Struktur in den letzten fünf Jahren nicht spurlos verschwunden wäre. Auch ohne die Autonome Antifa-Koordination war Kiel sowohl Dank anderer langjährig beständiger antifaschistischer Strukturen und Aktivist_innen, als auch einer dem Antifaschismus insgesamt zuträglichen Grundstimmung in der Stadt als breite Basis, nie ein gutes Pflaster für Neonazis und Geistesverwandte, was freilich – nicht zuletzt auch in den vergangenen Jahren – immer wieder erkämpft werden musste. Autonome Linke waren ohne Frage immer maßgeblich beteiligt.

Was wir uns sicherlich auf die Fahnen schreiben können ist, dass wir zum richtigen Zeitpunkt eine Struktur entwickelt haben, die in der Lage war, insbesondere auf die zwischenzeitlich durchaus wiederkehrenden spontanen und unangekündigten Aktivitäten von Neonazis im ganzen Stadtgebiet entweder präventiv, direkt oder nachträglich flexibel zu reagieren und dazu beitragen konnten, dass dem selbstbewussten Aktivismus von Kieler Neonazis vor allem in den Jahren 2008 – 2010 letztendlich die Puste ausging. Wir haben uns über die Jahre sowohl Know-How, Positionen, Infrastruktur, Vernetzung und Routine aneignen können, um lokale antifaschistische Politik aus der autonomen Linken auf einem gewissen Niveau zu gewährleisten. Und es ist uns gelungen durch vertrauenswürdige, aktuelle und von allen zugängliche Öffentlichkeitsarbeit in einem großen Umfeld Transparenz zu schaffen und insgesamt anerkannt zu sein. Dies bestätigten uns immer wieder sowohl die stete Unterstützung durch nicht direkt bei uns organisierte Genoss_innen und vor allem das relativ hohe Mobilisierungspotenzial, auch wenn es mal schnell gehen musste. Dem Anspruch, organisierter Teil einer weiter zu fassenden autonomen Antifa-Bewegung in Kiel zu sein und mit dieser in Wechselbeziehung zu stehen, sind wir damit durchaus gerecht geworden. Innerhalb der lokalen Linken konnten wir uns als zuverlässiger Bündnis- und Ansprechpartner für antifaschistische Politik etablieren, ohne unsere Zugehörigkeit zur autonomen Linken inhaltlich und praktisch zu beschneiden. Mit unseren Einschätzungen und Positionierungen konnten wir lokal sowohl in die autonome Szene, andere Spektren der Linken und seltener auch anderswo wirken und haben auch darüber hinaus, meist im norddeutschen Raum, von Zeit zu Zeit Beachtung gefunden – was Kritik natürlich mit einschließt.

Der vielleicht herausragendste Aspekt unserer zurückliegenden Arbeit dürfte jedoch die Tatsache unserer fünfjährige Existenz an sich sein. Was unserer Auffassung von linkradikaler Politik von unten nach eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nämlich die individuelle Anbindung an eine organisierte Struktur zur Schaffung kollektiver Gegenmacht, ist es leider nicht für alle Genoss_innen, längst nicht nur, aber gerade in der autonomen Linken Kiels. Mit dem fünfjährigen Bestehen einer kontinuierlich aktiven organisierten Struktur stellen wir in der radikalen Linken Kiels leider eine von sehr wenigen Ausnahmen dar und haben den Eindruck, dass sich derzeitig auch kein gegenteiliger Trend abzeichnet – im Gegenteil. Wenn wir dieser Tage unser fünfjähriges Bestehen feiern, dann tun wir das nicht nur, weil wir zusammen einen schönen Abend verbringen wollen, sondern vor allem, um für die Grundannahme zu werben, dass Organisierung die Voraussetzung gesellschaftlicher Einflussnahme, d.h. auch die von emanzipatorischer Veränderung ist und die entsprechende Konsequenz sein sollte, aktiver Teil von linksradikalen Gruppen und Strukturen zu sein.

Insofern ist die Unsrige keineswegs eine reine Erfolgsgeschichte: Wir haben zwar in zufriedenstellendem Maße dazu beigetragen, dass organisierte Neonazis hier weiterhin kaum über Einfluss und Infrastruktur verfügen, obwohl es auch in Kiel selbstredend ein entsprechendes Potenzial gäbe. Aber wenn es darum ging, dem rassistischen Normalzustand oder dem nationalistischen Hype im gesellschaftlichen Mainstream zwischen schwarz-rot-gelben Fahnenmehren, Sarrazin, Abschiebeknästen und Stammtischgelaber etwas Effektives entgegen zu setzen oder wahrnehmbar in Debatten wie z.B. die um die NSU-Offenlegung einzugreifen, sind auch wir recht schnell an unsere Grenzen gestoßen. Auch wenn Kritik der neonazistischen Ideologie und der gesellschaftlichen Zustände, die sie hervorrufen, immer Teil unserer Mobilisierungen gewesen ist und sein wird, haben wir wahrnehmbare Wirkung auf praktischer Ebene meist nur bei der expliziten Anti-Nazi-Arbeit entfalten können, obwohl von uns immer auch auf darüber hinaus gehende Initiativen abgezielt wurde. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Und auch das ist wenig verwunderlich und dürfte, wie auch bundesweit seit den 1990ern beobachtbar, zu den entscheidenden Gründen gehören, weshalb es nicht zufällig eine Antifa-Struktur ist, die nicht nach kurzer Zeit wieder in der autonomen Versenkung Kiels verschwunden ist. Ein klar definierter politischer Gegner, der zwar gefährlich, aber alles in allem gesellschaftlich marginalisiert und erst recht in Schleswig-Holstein relativ schwach und dilettantisch aufgestellt ist, lässt sich weit aus einfacher ausfindig machen und mit messbarem Erfolg bekämpfen, als etwa Widerstand gegen die strukturellen Ungleichhheits- und Zwangsverhältnisse kapitalistischer Gesellschaften zu organisieren, wo der politische Gegner nicht nur übermächtig scheint, sondern in seiner Komplexität oft nur schwer zu fassen ist und Generationen von Linken in Jahrhunderten die Frage ihrer Überwindung nicht zufriedenstellend beantworten konnten. Aber gerade diese häufig ausweglos scheinende Herausforderung macht es unabdingbar, dass sich emanzipatorische Linke organisieren, um gemeinsame Strategien zu entwickeln, um die begrenzte Kraft des_der Einzelnen zu Gegenmacht zum Bestehenden zu bündeln und die Perspektive des gleichberechtigten, freien und würdevollen Miteinanders aller Menschen weltweit in Solidarität überhaupt erst wieder denkbar zu machen.

Die Art und Weise unserer Organisierung ist dabei ein zweischneidiges Schwert: Die Routine und Verlässlichkeit, die wir entwickeln konnten, hat zwar einerseits die antifaschistische Handlungsfähigkeit der autonomen Linken in Kiel gewährleistet, andererseits aber auch zur zunehmenden Konsumhaltung in Teilen der Szene geführt. Seien wir ehrlich: Auch wenn sich in den entscheidenden Momenten in der Regel immer wieder viele Aktivist_innen eingebracht haben, wurde doch ein Großteil des Alltagsgeschäfts von einer ziemlich überschaubaren Anzahl besonders beharrlicher Genoss_innen erledigt. Einher damit ging logischerweise auch, dass sich die Art und Weise unserer Mobilisierungen, Veröffentlichungen und Aktionen ein Stück weit professionalisiert hat. Das hat einerseits, im besten Falle, die Qualität unserer Politik gesteigert, andererseits jedoch begründete oder auch nur scheinbare Barrieren für potenziell interessierte Mitstreiter_innen aufgebaut. Auch wenn wir uns dieser Barrieren bewusst sind und sie intern immer wieder reflektiert haben, ist es uns nur selten gelungen, neue Leute, zu denen vielleicht keine direkten persönlichen Kontakte bestanden haben, in unsere Struktur einzubinden. Dies ist selbstredend nicht völlig unbegründet: Natürlich müssen sich linksradikale Organisierungen vor politischen Gegner_innen schützen, sei es vor staatlichen Repressions- und Überwachungsbehörden oder vor Nazis. Es ist begründet, weshalb unsere Treffen nicht öffentlich bekannt gegeben werden und wir nicht jede_n, der_die mal eine Veranstaltung von uns besucht hat oder mit uns zu einer Demo gefahren ist, sofort einladen. Den Spagat zwischen Schutz der Struktur und grundsätzlicher Anschlussfähigkeit haben wir trotzdem nicht zufriedenstellend bewerkstelligen können – das müssen wir eingestehen.

Dieses kurze Fazit zu fünf Jahren Autonome Antifa-Koordination Kiel möchten wir deshalb mit einem deutlichen Aufruf schließen: Der effektivste Schritt hin zu organisierter autonomer Politik ist es, dass Ihr Euch mit den politischen Menschen Eures Vertrauens zusammenschließt – ob nun in einer Bezugsgruppe, einem Diskussionszusammenhang und/oder einer offen auftretenden Gruppe ist natürlich Eurer Schwerpunktsetzung überlassen. Es ist deutlich einfacher, sich als fester Personenkreis, denn als Einzelperson organisierten Strukturen anzuschließen; beiderseits sowohl für die schon Organisierten, als auch für die Organisationswilligen. Sprecht uns an, wenn Ihr Interesse habt, Euch bei uns zu organisieren.

Aber auch, wenn für Euch ein solcher Schritt aus welchen Gründen nicht in Frage kommt: Seid aktiv und übernehmt Verantwortung – linksradikale Politik lebt vom Selbermachen! Ob Ihr auf der nächsten Demo spontan das Tragen eines Transparents übernehmt, eine Kritik an unserem Aufruf formuliert, vor der nächsten größeren Aktion mal anfragt, was noch zu erledigen ist bzw. Euch selbst was überlegt, wie Ihr die Sache bereichern könnt oder indem Ihr von Zeit zu Zeit mal eine Runde plakatieren geht – es gibt eigentlich immer was Nützliches zu tun.

Und liebe Leute: Nutzt die bestehende Infrastruktur. Kiel hat für linksradikale Aktivist_innen keine schlechte Ausgangsbasis: Beiteiligt Euch an den Nutzer_innenplena der Alten Meierei und des Li(e)ber Anders, kommt mal während der Öffnungszeiten im Libertären Laden auf einen Kaffee oder das neueste Flugblatt vorbei, werdet Mitglied und aktiv in der Roten Hilfe und nutzt die Mailingliste [rhizom] – die besten Errungenschaften nutzen nichts, wenn sie brach liegen!

Go get organized!

Autonome Antifa-Koordination Kiel, 14. Dezember 2012