Auswertung „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“

Am 28.1. fand in Hamburg eine antifaschistische Demonstration anlässlich der Morde des „NSU“ unter dem Motto „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ statt. Wir haben diese Demonstration unterstützt und dort einen Redebeitrag gehalten. Wir dokumentieren das Auswertungspapier des Demo-Bündnisses.

Auswertungspapier

Die Demonstration vom 28. Januar 2012 werten wir als Erfolg. Wir haben es geschafft, innerhalb von sechs Wochen ein großes, überregionales und linksradikales Bündnis auf die Beine zu stellen. Dabei beziehen wir uns nicht nur auf die überraschend große Zahl von etwa 2000 Teilnehmer_innen an der Demonstration, sondern auch auf die Zusammenarbeit im Bündnis, das sich in seiner Vielfältigkeit einig war über die Notwendigkeit der Anklage und Kritik der deutschen Verhältnisse. Die Demonstration war inhaltlich mit elf Redebeiträgen von verschiedenen Gruppen zu unterschiedlichen Themen sehr breit aufgestellt. Diese können auf unserem Blog http://dertodisteinmeisteraus.de abgerufen werden. Es gab ein breites Medienecho, wenngleich beispielsweise die taz sich herausnahm, unsere Forderung nach der Auflösung Deutschlands unter den Tisch fallen zu lassen.
Der Aufruf zu der Demonstration wurde sowohl von Hamburger Gruppen als auch von Gruppen und Zusammenhängen aus anderen Regionen unterschrieben. Dass sich eine große Anzahl Unterstützer_innen für die Demonstration fand, die nicht als Unterzeichner_innen des Aufrufs auftraten, sehen wir als Stärke. Nicht das Bekenntnis zu einem Aufruf finden wir entscheidend, sondern die Unterstützung der Demonstration. Dabei sind die Gründe für die Nichtunterzeichnung so verschieden wie die entsprechenden Gruppen und Zusammenhänge. Uns freut, dass es neben dem Aufruf des Bündnisses vier weitere Aufrufe von Kritikmaximierung Hamburg, der McGuffin Foundation, den „Autonomen Gruppen“ sowie der FAU Hamburg gab, die andere Schwerpunkte setzten, ohne die Ausrichtung der Demonstration beliebig werden zu lassen. Das zeigt, welch hoher Stellenwert Protesten zu diesem Thema beigemessen wurde.
Wir verstehen die Demonstration als Ausdruck unserer Wut über die Nazi-Morde, als Anklage an die Staatsorgane und die gesellschaftlichen Verhältnisse und als Absage an Deutschland. Sie kam als eine der wenigen öffentlichen Reaktionen aus der radikalen Linken viel zu spät. Es scheint, als hätten sich viele Linke erst nach Monaten aus einer Schockstarre lösen, die Vorgänge begreifen und einordnen können. Wie sonst ist eine solche Phase der Tatenlosigkeit zu diesem Thema zu erklären?
Wir haben bewusst von vornherein eine Demonstration mit einem linksradikalen Ausdruck und Inhalt angestrebt, in dem Wissen, dass vor allem die Forderung nach einer Abschaffung Deutschlands viele mögliche Teilnehmer_innen und Organisationen abschrecken könnte. Wir sind davon überzeugt, dass in der Vergangenheit viel zu häufig wichtige radikale Forderungen aus taktischen Überlegungen zurückgehalten wurden. Daher haben wir auch die bewusste Entscheidung getroffen, nicht mit allen Gruppen zusammenarbeiten zu wollen. Dabei freuen wir uns über die vielfache individuelle Entscheidung, sich an dieser Demonstration zu beteiligen. Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ist in Deutschland nur mit dem Kampf gegen Deutschland möglich. Alles andere führt zum Bestreben nach einem reformierten, einem „besseren“ Deutschland. Dass es das nicht gibt und nicht geben wird, haben über 20 Jahre „Deutsche Einheit“ unter Beweis gestellt. Die völkische Formierung des Deutschen bringt aus sich immer wieder Rassismus und Antisemitismus hervor. Wir freuen uns in diesem Zusammenhang, dass es bei allen Differenzen zwischen den beteiligten Gruppen und Einzelpersonen und trotz aller Schwierigkeiten, die Bündnisarbeit mit sich bringt, ein Bündnis mit einem solchen Konsens und solcher inhaltlichen Radikalität geben konnte. Das ist für Hamburger Verhältnisse eine neue Qualität und schafft eine neue Perspektive für Organisation in Hamburg. Unsere Erfahrungen geben wir gerne an interessierte Gruppen weiter.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Demonstration ist der Umstand, dass diese, wenn auch mit einer abweichenden Route, durch die Innenstadt gehen konnte. In den letzten Jahren hatte es die Hamburger Polizei unabhängig von der politischen Zusammensetzung des Senats stets verstanden, linke und linksradikale Demonstrationen durch die Innenstadt durch Wanderkessel, Aufstoppen und eine Eskalation der Gewalt zu unterbinden. Auch uns war es nicht möglich, auf der Mönckebergstraße zu demonstrieren. Das ist eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, die nicht hinzunehmen ist.
Von einer Klage wurde zu dem Zeitpunkt aus zweierlei Bedenken Abstand genommen. Es gab sowohl die Einschätzung vor Gericht nicht gewinnen zu können, als auch diejenige, dass selbst eine gewonnenes Verfahren nicht zu einer Demonstration auf der Mönkebergstrasse führen würde. Für diesen Gerichtsgang Gelder aufzustellen erschien uns in dem Moment als eine zu große Zusatzbelastung. Diese Einschätzung relativiert sich aus heutiger Sicht jedoch.
Am 28. Januar hat sich die Hamburger Polizei deutlich zurück gehalten. Über die Gründe dafür können wir nur spekulieren – letztlich ist das Vorgehen der Polizei gegen ihr Feindbild „links“ niemals ganz nachzuvollziehen. Zum einen haben aber die Brisanz der NSU-Morde und die öffentlichen Debatten über die Verstrickung der deutschen Geheimdienste, allen voran des Verfassungsschutzes, zum Zeitpunkt der Demonstration sicher einen großen Druck auch auf die Hamburger Polizei aufgebaut. Anscheinend war ein hartes Vorgehen gegen eine Demonstration, die dies thematisiert, nicht im Interesse der Polizeiführung. Inwiefern der neue Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch, der zum Zeitpunkt der Demonstration erst zehn Tage im Amt war, zu einem entspannten Vorgehen der Polizei beitrug, muss offen bleiben. Aufgrund unserer Entscheidung, unseren Protest dezidiert in die Mitte dieser Gesellschaft tragen zu wollen, haben wir zudem einige taktische Überlegungen angestellt und intensive Pressearbeit betrieben, um den öffentlichen Druck auf die Polizeiapparate zu erhöhen. Wir hoffen, dass unsere Pressemitteilung und die Medienberichterstattung über die verbotene Route durch die Mönckebergstraße im Vorfeld der Demonstration einiges dazu beigetragen hat, dass wir überhaupt in die Nähe des Rathauses kamen. So hatten wir die Möglichkeit unseren Protest über Jungfernstieg und Gänsemarkt zu einem Teil der Adressat_innen zu tragen: der Mehrheitsgesellschaft. Dort, wo der Alltagsrassismus unreflektiert grassiert, das deutsche Volk für eine Naturtatsache gehalten wird und Rassismus und Antisemitismus nur bei „den Nazis“ verortet werden.
Eine zweite sehr erfreuliche Besonderheit dieser Demonstration ist, dass es seit langem die erste größere linksradikale Bündnisdemonstration in Hamburg war, bei der es keine Angriffe auf die gezeigten Israel-Fahnen gab. Es gab lediglich eine Beschwerde über eine Israelfahne im ersten Block. Vor dem Hintergrund der Geschichte der Hamburger Linken der letzten Jahre kann durchaus von einem Fortschritt gesprochen werden. Das ist umso erfreulicher, als wir den Eindruck haben, dass der Grund für diese Veränderung darin liegt, dass immer mehr Menschen sich damit auseinandersetzen, warum die Fahne des jüdischen Staates auf einer Demonstration gegen deutsche Zustände sinnvoll ist.
Israel ist nicht nur, aber auch eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte, aus deutschem Vernichtungswahn und Antisemitismus. Israel ist der Staat, der es Jüdinnen und Juden ermöglicht, ihren Schutz selbst zu organisieren. Dass dieser nach wie vor nötig ist, zeigt sich gerade in Deutschland jeden Tag aufs Neue. Die Tiraden von ex SS-Mann und linkem Shootingstar Günter Grass sind nur der aktuellste Beweis für die Tatsache, dass der Hass auf Juden und den jüdischen Staat sich in Deutschland zwar wandelt, aber nicht verschwindet.
Ein Vorwurf, der uns im Vorfeld wie der Nachbereitung der Demonstration öfter gemacht wurde, war der, eine „rein weiße Kartoffeldemo“ organisiert zu haben. Auch wenn uns nicht immer klar geworden ist, aus welchem Grund uns dieser Vorwurf jeweils gemacht wurde, so trifft diese Kritik doch ein Problem. Uns ist bewusst, dass wir uns in einer von bürgerlicher Mittelschicht geprägten, männlich und weiß dominierten Linken bewegen. Eigene Rassismen zu reflektieren, ebenso wie die Ausschlüsse, die die eigene Politik produziert, ist wichtig – wir glauben aber auch, dass Ausschlüsse nicht einfach per Beschluss überwunden werden können. Wir haben im Vorfeld der Demonstration durchaus versucht, unterschiedliche Gruppen anzusprechen und eine möglichst große Heterogenität herzustellen. Diese Versuche waren nicht immer so erfolgreich, wie wir es uns gewünscht hätten, zum Teil ist dies allerdings durch ärgerliche Missverständnisse zu erklären. Das gilt zum Beispiel für das Café Exil, das wir gerne als Teil des Bündnisses begrüßt hätten – nur durch gescheiterte Kommunikation ist zu erklären, dass das nicht so angekommen ist. Ebenso wichtig wie die politische und personelle Heterogenität des Bündnisses war es uns aber, eine radikale Kritik an den deutschen Zuständen zu formulieren, um nicht am Ende als radikale Linke eine deutsche Zivilgesellschaft zu simulieren, die es gerade im Hinblick auf die NSU-Morde nicht gibt. Möglicherweise hat diese politische Ausrichtung Teile der Antira-Szene davon abgehalten, sich unserem Bündnis anzuschließen. Zur Kritik der „Kartoffeldemo“ scheint es wichtig zu sein, noch eins hinzuzufügen: Wer glaubt, nur eine Demonstration gemeinsam mit „Migrant_innen“ (wer immer damit jeweils gemeint sei) setze ein echtes Zeichen gegen Rassismus, konstruiert und reproduziert damit selbst Stereotype und Ausschlüsse, die es doch zu überwinden gälte.
Wie sich die Nazi-Szene und ihre gewalttätige Übergriffe, bis hin zum Mord, weiter entwickeln, bleibt zu beobachten. Wir versuchen weitere Übergriffe und Anschläge auf unserem Blog zu dokumentieren, um eine Auseinandersetzung aufrecht zu erhalten. Das Morden der Nazis hat sich in den Taten des NSU nicht erschöpft. Das zeigen die Brandanschläge in Meldorf oder der Mord an Burak Bektas in Berlin.
Bereits im Februar wurde eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU in Rostock von etwa 30 Nazis attackiert.
Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden und diverser parlamentarischer Ausschüsse, die demonstrative Nicht-Kooperation der Geheimdienste, das Zurückhalten und Löschen von ermittlungswichtigen Informationen lässt eine umfassende Aufklärung über die Verstrickung der Geheimdienste nicht erwarten. Umso wichtiger finden wir die fortlaufende Dokumentation von Übergriffen und Anschlägen auf unserem Blog.
Zwar gab es mittlerweile ein öffentliches Gedenken, bei dem hochrangige Vertreter_innen der Politik und Angehörige der Opfer sprachen. Diese Veranstaltung bedient sich jedoch der lange eingeübten Praxis des Verdrängens. Die Kontinuität des völkischen Nationalismus, der grassierende Alltagsrassismus, die Verstrickung von V-Leuten in militante Nazi-Strukturen wurden nicht angesprochen. Stattdessen wurde das Bild des toleranten und geläuterten Deutschlands vermittelt. Was noch mehr passieren muss, damit dieses Trugbild kippt, wagen wir uns nicht auszumalen.

DTIEMAD_Auswertungspapier
zum downloaden und ausdrucken! (A4-Doppelseitig)