„Der Laden muss weg!“ – Redebeitrag 4.5.12 / Demo des Runden Tischs gegen Rassismus und Faschismus Kiel

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, liebe Menschen aus Gaarden!

Wir sind heute zusammen auf der Straße, um gegen die Etablierung von Neonazis im Stadtteil Gaarden zu demonstrieren. Seit Dezember 2012 befindet sich nämlich direkt hier am Vinetaplatz mit „PLS-Werkzeuge“ ein Geschäft, das von bekannten Akteuren der rechten Szene betrieben wird.

Doch was stört uns und viele andere Menschen daran, wenn Neonazis in einen unansehnlichen kleinen Ladenlokal ein bisschen Geld mit dubiosen Geschäften verdienen und sich dabei vorerst mit politischen Äußerungen zurückhalten? Es ist zunächst zweitrangig, ob Neonazis offen politisch agieren oder versuchen sich ein „unpolitisches“ Image als „Geschäftsleute“ zu geben. Neonazis bleiben Neonazis und damit eine Gefahr für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Es gibt unzählige Beispiele für Orte oder Stadtteile, in denen sich Neonazis schleichend und mit scheinbar harmloser Fassade versuchten zu etablieren. An Orten wo der Widerstand gegen diese Vorstöße nicht entschlossen genug war, befinden sich heute zum Teil so bezeichnete „No-go-areas“ für Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Vorlieben, ihrer antifaschistischen Haltung oder schlicht der „falschen“ Frisur nicht in das Bild eines „guten Deutschen“ im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie passen.
Einige aus der medialen Berichterstattung besonders bekannte bundesweite Beispiele sind die Stadtteile Berlin-Schöneweide oder Dortmund-Dorstfeld. In diesen Stadtteilen fing die neonazistische Festsetzung durch scheinbar unverfängliche Anmietung von Wohnungen, Geschäftsräumen oder Kneipen an. Erste rechte Übergriffe konnten gesellschaftlich noch als Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen oder Ähnliches weggewischt werden werden. Inzwischen betrachten die Neonazis diese Stadtteile als „ihre“ und schüchtern systematisch Menschen ein, die ihrer Ideologie widersprechen oder dieser entgegentreten. Es kommt neben unzähligen kleineren Angriffen immer wieder zu Brandstiftungen mit neonazistischem Hintergrund wie in der Umgebung von Berlin-Schöneweide oder sogar zu Morden wie dem an dem Dortmunder Punk „Schmuddel“ im Jahre 2005.

Natürlich ist die Situation in Kiel, insbesondere in Gaarden, nicht vergleichbar mit den genannten Beispielen. Aber auch hier galt und gilt es, solche Tendenzen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen, um nicht in Zukunft vor vergleichbaren Situationen zu stehen. Jedoch auch im vermeintlich ruhigen Kiel geschehen immer wieder rechte Übergriffe: Spektakuläre Beispiel sind die Schüsse auf die Alte Meierei im Jahr 2010, mutmaßlich abgegeben von Personen aus dem Umfeld der damals aktiven Nazi-„Aktionsgruppen“ aus Kiel bzw. Neumünster. Ein anderes Beispiel ereignete sich genau hier vor nur wenigen Monaten: Der Gründer und Macher von „PLS Werkzeuge“ selbst, Alexander Hardt, machte im Januar 2013 mit seinem Auto Jagd auf Gaardener Jugendliche.

Auch jenseits der öffentlichen Wahrnehmung hat Kiel eine aktive Neonazi-Szene, die sich nach dem Niedergang der „Aktionsgruppe Kiel“ und der andauernden Krise der hiesigen NPD meist öffentlich zurück hält, aber im Verborgenen rechte Politik teils für den ganzen deutschsprachigen Raum mitgestaltet. So resisidieren in Kiel und Umgebung mit dem „Arndt Verlag“ und dem „Regin Verlag“ bekannte neonazistische Verlage, hier haben neonazistische Organisationen ihren Sitz und auch die für den Fall eines NPD-Verbots schon in Stellung gegangene Neonazi-Partei „Die Rechte“ wird aus Kiel mit aufgebaut. Der Laden „PLS-Werkzeuge“ birgt in Anbetracht der Biographien seiner Betreiber nun die Gefahr in sich, dass auch die militante Nazi-Szene in Kiel nach einigen Jahren in der Defensive wieder über einen Ort verfügt, den sie potentiell als Infrastruktur nutzen kann. Die „PLS“-Protagonisten Alexander Hardt und Lars Bergeest, wie auch der ihrem engen Umfeld zugehörige Peter Borchert, entstammen sämtlich diesem Teil der rechten Szene Schleswig-Holsteins. Bergeest organisiert im Umfeld des „Blood & Honour“-Netzwerks Rechtsrock-Konzerte in Nordeuoropa, Hardt beteiligt sich an Rechtsrockprojekten. Beide sind mehrfach durch Übergriffe aufgefallen, Hardt sorgte gar für Schlagzeilen, als er angeklagt war, 2008 unter dem Label der neonazistischen Terrorzelle „Combat 18“ ein Schwein auf dem jüdischen Friedhof in Neustadt getötet und seine Eingeweide dort verteilt zu haben. Insbesondere Hardt übernimmt zudem seit seinem Umzug nach Neumünster im Umfeld des einschlägig bekannten Nazitreffpunktes „Club88“ auch immer wieder organisatorische Aufgaben.
Auch Peter Borchert, dessen Name im Zusammenhang mit „PLS-Werkzeuge“ aufgetaucht ist, ist in Kiel kein Unbekannter. Der ehemalige Landesvorsitzende der NPD war verstrickt in Waffengeschäfte, hat unzählige Vorstrafen wegen verschiedener schwerer Gewalttaten, fungierte als Pressesprecher des „Club 88“ und baute vor einigen Jahren die aggressive „Aktionsgruppe Kiel“ auf. Borchert ist z. Z. zwar noch inhaftiert, wird aber im Laufe des Jahres entlassen. Da dem momentanen Hauptakteur von „PLS-Werkzeuge“, Alexander Hardt, eine Haftstrafe droht, besteht die Gefahr, dass sich Borchert und Hardt, beide mittlerweile übrigens tief in die Machenschaften der Rockergang „Bandidos“ verstrickt, buchstäblich die Klinke in die Hand geben und „PLS-Werkzeuge“ als neonazistisches Resozialisierungsprojekt für Peter Borchert dient.

Apropos Borchert: Dieser Name steht nicht nur für Versuche von Neonazis in Gaarden Fuß zu fassen, sondern auch für erfolgreiche antifaschistische Maßnahmen, dies zu verhindern: Anfang 2008 wurde seine unerwünschte Anwohnerschaft nach nur wenigen Wochen gegen zerbrochene Fensterscheiben seiner Wohnung getauscht. Auch zwei Haushalte von NPD-Kandidaten in der Preetzer Straße konnten kurz darauf, in Folge einiger turbulenter Tage, zum Auszug gedrängt werden. Wir erinnern uns heute gern zurück an die kurzfristig mobilisierte, buntgemischte Antifa-Demo von über 700 Menschen, die vor fast genau fünf Jahren durch die Straßen Gaardens zog und diesen Erfolg feiern durfte. Die damaligen Aktivitäten haben wir uns durchaus zum Vorbild für unsere aktuelle Initiative gegen „PLS-Werkzeuge“ genommen! Wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass mittlerweile auch die Führungsfigur der NPD in Kiel, der Kieler Noch-Ratsherr Hermann Gutsche, kürzlich nach Gaarden gezogen ist und nun in der Blitzstr. gemeldet ist. Sorgen wir dafür, dass alle diese Versuche von Neonazis, sich schleichend zu etablieren, im Keim erstickt werden!

Die genannten Gaardener antifaschistischen Initiativen vom Frühjahr 2008 geben ein Beispiel dafür, wie erfolgreicher Widerstand gegen Neonazis aussehen kann. Manche denken zunächst an die sogenannten Ermittlungsbehörden in Gestalt von Polizei oder Verfassungsschutz, wenn es um die Bekämpfung von Neonazis geht. Auch wenn der Reflex, die eigene Verantwortung an staatliche Institutionen abzugeben, oberflächlich betrachtet manchmal verständlich erscheinen mag, schließlich pflegen insbesondere die Betreiber von „PLS-Werkzeuge“ ein martialisches Auftreten und sind durch ihre Gewalttaten bekannt, bleibt bei genauerem Hinsehen keine Alternative zu selbstorganisiertem Widerstand gegen Nazi-Umtriebe. Nicht erst die Enthüllungen um den „NSU“ haben gezeigt, dass staatliche Stellen oft selbst zu tief mit im Geschehen involviert sind, um ein ernsthaftes Interesse an Verfolgung und Zerschlagung von neonazistischen Strukturen zu haben. Nicht nur die erschütternde Spitze des Eisbergs, dass die Nazi-Bande „NSU“ mehr als ein Jahrzehnt lang im ganzen Bundesgebiet ungestört rassistische Morde begehen konnte, auch, dass insbesondere Führungspersonen der deutschen Neonazi-Szene trotz erheblicher Straftatbestände immer wieder mit geringen Strafen davon kommen oder gar nicht erst verfolgt werden, belegen dies mit unzähligen Beispiele. Doch kann daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, höhere Strafen für Neonazis oder eine Afrüstung der Repressionsorgane zu fordern. Diese Behörden sind strukturell und historisch gewachsen, nicht willens, ernsthafte Arbeit gegen rechte Umtriebe zu leisten. Ihr Wegsehen, Verharmlosen, Nichthandeln und Unterstützen stellen kein Versagen dar, sondern sind ihr normaler Alltag, der sich aus ihrem eigentlichen Zweck, dem Erhalt der bürgerlichen Gesellschaftsordnung ableitet. Im Gegensatz dazu wird von denselben Behörden antifaschistisches Engagement kriminalisiert und verfolgt. Die Haftstrafe für Tim wegen der Blockaden des Nazi-Aufmarsches in Dresden, die jüngst entdeckten Peilsender unter Autos von Antifa-Aktivist_innen in Lübeck bezeugen dies genauso, wie die letzten Monate in Gaarden, wo die örtliche Polizei deutlich bewiesen hat, wo sie steht, als sie im Zuge der Aufklärungsarbeit über „PLS-Werkzeuge“ mit Großaufgeboten vermeintliche antifaschistische Plakatiererinnen und Plakatierer jagte oder Flugblattverteilaktionen des Runden Tisches störte. Mordende, prügelnde und mit Waffen handelnde Neonazis stellen in ihrer Logik von Ruhe und Sauberkeit ein geringeres Problem dar, als engagierte Menschen, die einen Stadtteil ohne Rassismus, Antisemitismus und soziale Ausgrenzung fordern – mindestens solange, wie sich die Nazi-Gewalt nur gegen ohnehin gesellschaftlich ausgegrenzte Gruppen richtet, die sich über keine Starke Lobby Gehör verschaffen können, oder bis mit einer öffentlichen Thematisierung am Standortimage gekratzt wird.

Wie ein angemessener stadtteilpolitischer Umgang mit Neonazistrukturen aussehen kann haben aktuell verschiedene Initiativen in Berlin-Schöneweide vorgemacht. Nachdem sich dort mit der sog. „Braunen Straße“ ein ganzer Straßenzug zu einem Rückzugsraum für Neonazis entwickelt hatte und die staatlichen Stellen diesen Prozess ignorierten oder fleißig mithalfen, haben sich vielfältige Widerstandsformen gefunden, selbstorganisiert das Problem mit den Neonazis anzugehen: Von direkten Angriffen auf neonazistische Objekte, über Kundgebungen, Demos, Öffentlichkeitsarbeit und den antifaschistischen Selbstschutz für engagierte Menschen aus dem Viertel haben viele Menschen „ihre“ Aktionsform gefunden und mittlerweile können erste Erfolge gefeiert werden. Zwei zentrale Neonazi-Läden mussten schließen.

Kurzum: Gegen Neonazistrukturen, wozu wir im weiteren Sinne ausdrücklich auch „PLS-Werkzeuge“ zählen, müssen wir alle selbst aktiv werden! Auch der bloße Verweis an die örtlichen antifaschistischen Strukturen, dass „die es ja schon richten werden“, kann keine dauerhafte Lösung sein. Alle, die keinen Bock auf Nazis im Stadtteil oder sonst wo haben, sind aufgefordert, sich selbst zu organisieren und tagtäglich nach ihren Möglichkeiten und mit ihren Mitteln Widerstand gegen rechte Umtriebe zu leisten, egal ob diese als unpolitisch scheinende Geschäfte wie „PLS-Werkzeuge“, als Wahlkampf von rechten Parteien oder als rassistische Bemerkung im Alltag daher kommen.

Neonazis keinen Raum geben – nicht in Gaarden, nicht anderswo! Für den selbstorganisierten Widerstand! Der Laden muss weg!