„…bis die Scheiße aufhört!“ – Redebeitrag 26.8.2011 / Antifa-Kundgebung Kiel-City

…BIS DIE SCHEIßE AUFHÖRT!

Solidarität mit allen Betroffenen staatlicher Repression und rechter Gewalt!

Der ganz normale Ausnahmezustand in Deutschland

Rassistische und faschistische Gewalt sind trauriger Alltag in Deutschland. Diese hat seit 1990 mindestens 149 Todesopfer gefordert. Neonazistische Übergriffe sind an der Tagesordnung. In den letzten Wochen und Monaten wurde dieser gewalttätig normierende Normalzustand wieder offensichtlicher und ekelerregender – es gibt eine erschreckende Häufung an rechten Übergriffen und Anschlägen gegen Migrant*innen und linke Menschen und Projekte:

# In Berlin gab es Ende Juni (Brand-)Anschläge auf verschiedene linke Projekte wie das Anton-Schmaus-Haus, Bandito Rosso, dem Red Stuff-Mailorder, das Tuntenhaus und das Tommy Weisbecker-Haus.
# In Dortmund kam es in den letzten Monaten zu mehreren schweren An- und Übergriffen von Neonazis gegen Antifaschist*innen.
# In Mecklenburg-Vorpommern ist es im Zuge des NPD-Wahlkampfes zu einer Welle rechter Angriffe gegen linke und alternative Strukturen gekommen.
# In Leverkusen wurde im Juli ein Haus in dem Sinti und Roma wohnten aus rassistischen Gründen mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt.
# In Bergkamen wurde der Rohbau einer Moschee sowie ein von Migrant*innen bewohntes Gebäude von einem organisierten Neonazi angezündet.

Und dies ist nur eine Aufzählung der aufsehenerregendsten Ereignisse der letzten Wochen!

Rechte Konjunktur in Europa

Neben der Gefahr, die Neonazis für Migrant*innen und Linke darstellen, gibt es in ganz Europa die Tendenz zu einem Rechtsruck: Rechte und rechtspopulistische Parteien sind in der Lage, mit vor allem antimuslimischem Rassismus und Sozialchauvinismus in einigen europäischen Ländern mehr als 20% der Wähler*innen zu mobilisieren. Unter Berufung auf so genannte „europäische“ oder „christlich-abendländische“ Werte werden Ressentiments gegen Minderheiten und Migrant*innen geschürt. Linke, die uneingeschränkt die Gleichwertigkeit aller Menschen betonen, sind in diesem Weltbild Feinde der Freiheit, die die Rassist*innen zwar zu verteidigen meinen, jedoch selber permanent mit den Füßen treten.

Der jüngste und bisher gewalttätigste Ausdruck dieser Ideologie waren die Massaker in Norwegen:
Unter Berufung auf Versatzstücke aus einem Querschnitt rechtspopulistischer und christlich-religiöser Hetzschriften wurde in Oslo ein Sprengstoffanschlag verübt und auf einer Insel nahe Oslo Angehörige der sozialdemokratischen Arbeiter*innenpartei von einem ehemaligen Mitglied der rechtspopulistischen „Fortschrittspartei“ (FRP) erschossen,
es kamen 77 Menschen ums Leben. Fester Bestandteil der FRP ist ihre antimuslimische Rhetorik.

Die eklige Fratze der selbsternannten Mitte

Entgegen der Behauptung, derartige Gräueltaten seien das Werk von „wirren Einzeltäter*innen“, findet Gewalt gegen Migrant*innen und Linke ihren Nährboden in einem Klima gesellschaftlicher Ausgrenzung. Die rassistische und sozialchauvinistische Scheiße, die Rechtspopulist*innen bis hin zu Thilo Sarrazin und Konsorten verbreiten, ist in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ verankert und erhält in Zeiten kapitalistischer Krisen zusätzlichen Auftrieb, denn dort, wo Existenzen und Privilegien bedroht sind, braucht es Schuldige, die dafür verantwortlich gemacht werden können. Dabei stilisiert sich die weiße europäische Mehrheitsgesellschaft, genau wie die sogenannten Rechtspopulist*innen bis hin zu als „extremistisch“ geltenden Neonazis, gerne zur Verteidigerin von Freiheit,
betreibt aber eine ausgrenzende, rassistische & repressive Politik – ob an den Außengrenzen der EU, wo jährlich tausende Menschen beim Versuch nach Europa zu gelangen sterben, oder im Inneren, wo Hetze und Repression gegen Migrant*innen und Menschen, die nicht „für die Gesellschaft“ arbeiten können oder wollen, zum Alltag gehören.

Das Massaker von Oslo war keine Tat, die an irgendeinem „extremistischen“ Rand der Gesellschaft herangewachsen ist. Es war der fatal zugespitzte Wahn der selbsternannten bürgerlichen Mitte, ihr aus eigener Logik heraus
immer weniger Sicherheiten stiftendes freies „Abendland“ (d.h. vor allem ihre Privilegien innerhalb der kapitalistischen Weltordnung) gegen dafür verantwortlich gemachte vermeintliche „extremistische“ Bedrohungen
verteidigen zu wollen. Die Schuldigen für die immanente, aber unbewusste Krisenhaftigkeit ihrer Gesellschaftsformation findet diese „Mitte“ seit jeher in einem mystifizierten „Außen“, deren Funktion derzeit das in
rassistischer Manier auf alle Muslime und Araber*innen übertragene Etikett des angeblichen oder tatsächlichen „internationalen Terrorismus“ übernimmt. Im „Inneren“ entstehe die Gefahr durch all die randständigen marxistisch Verblendeten, die naiven Utopist*innen, die anarchistischen Chaot*innen oder das nicht tot zu kriegende Gespenst des Kommunismus, die mit ihrer ewigen Gleichmacherei erst das Einfalltor für die von allen Seiten drohende „äußere“ Gefahr bildeten. Aus diesem Grund wählte Anders Breivik die Jugend der sozialdemokratischen Arbeiter*innenpartei als Ziel.

Die 77 Toten vom 22. Juli 2011 wurden Opfer des Terrors der reaktionären, rassistischen und emanzipationsfeindlichen „Mitte“, des verselbstständigten bewaffneten Arms der Wilders, Sarazzins, Köhlers oder
Le Pens und all der anderen selbsternannten Verteidiger*innen der Freiheit eines christlichen Abendlandes im Sumpf des Konservativismus, des Neoliberalismus, des Neofaschismus und des christlichen Fundamentalismus.

Horrorgeschichten aus dem Tal der Ahnungslosen

Um das Konstrukt von einer „Mitte der Gesellschaft“ aufrechtzuerhalten braucht es eine vor allem verbale und populistische Abgrenzung zu anderen Positionen, die dann als „extremistisch“ deklariert werden. Bundesdeutscher Musterschüler im ideologischen und praktischen Vorantreiben dieses gequirlten Unsinns namens „Extremismustheorie“ ist das Bundesland Sachsen, auf pseudowissenschaftlicher Ebene an der TU Chemnitz,
auf praktischer Ebene in der Polizeiführung und in der CDU geführten Landesregierung.
Gegen die antifaschistische Bewegung in Sachsen und gegen das Bündnis „Dresden Nazifrei!“, welches seit zwei Jahren die erfolgreichen Aktionen gegen die jährlichen Großaufmärsche europäischer Neonazis organisiert,
läuft eine massive Repressionswelle. Unter dem Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ wird der Schnüffelparagraph §129 angewendet, mit dem die Ausspähung und Überwachung großer Teile der Bewegung legitimiert wird. Massenfestnahmen, Handyüberwachungen und illegale Datensammlungen en masse in Dresden komplettieren das Arsenal an Repressionen gegen aktive Antifaschist*innen.

Solidarität und linke Politik tun Not!

Auch eine Kielerin ist von der Repression gegen die antifaschistischen Proteste in Dresden betroffen. Ihr wird vorgeworfen, sich an den Massenblockaden von „Dresden Nazifrei!“ im Februar 2011 beteiligt zu haben, was ihr nun ein Ermittlungsverfahren wegen „Verhinderung einer angemeldeten Versammlung“ mitsamt einer Auflistung ihrer
Handy-Verbindungsdaten vom 19. Februar in der Akte eingebracht hat. Mit dem gleichen Vorwurf müssen sich in einem anderen Zusammenhang auch Aktivist*innen auseinandersetzen, die 2010 und 2011 an Protesten gegen die
christlich-fundamentalistischen „1000-Kreuze-Märsche“ in Münster teilgenommen haben.

Unsere Solidarität gilt allen von Repression betroffenen linken Aktivist*innen und allen Betroffenen sozialchauvinistischer, rassistischer und neonazistischer Hetze und Gewalt. Der tägliche, ausgrenzende Wahnsinn
zeigt, dass linke, antirassistische und antifaschistische Politik eine Notwendigkeit ist, um die aktuellen gesellschaftlichen Zustände zu kritisieren und Grundvoraussetzung dafür, gemeinsam diese Welt für alle
Menschen zu einem lebenswerten Ort zu gestalten.
Wir werden weiter Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus in all seinen Formen kritisieren und angreifen. Dies ist nicht nur eine Notwendigkeit, die sich aus der mörderischen deutschen Geschichte als Mindestkonsequenz ergibt, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit, die uns als Menschen, die auch weiterhin die radikale Verwirklichung von
Freiheit, Gleichberechtigung und Solidarität unter allen Menschen zum Ziel haben, antreibt. Wir werden Nazis und Rassist*innen auf der Straße und wo immer sie auch sonst ihre Ideologie der Versklavung und des Massenmordes
verbreiten wollen, mit nötiger Härte entgegentreten, ihre Strukturen offen legen und ihr menschenfeindliches Wirken verhindern – solange, bis diese endgültig auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind. Davon lassen
wir uns auch nicht durch die Hetze, die Repression und die Gewalt der selbsternannten Mitte dieser Gesellschaft, ihrer politischen Auswüchse und ihrer Repressionsorgane abhalten.

Ob in Oslo, Berlin oder sonstwo: Solidarität mit allen Betroffenen rechter Gewalt!
Schluss mit der Repression gegen Antifaschist*innen – Weg mit dem §129!
Linke Politik verteidigen! Für einen konsequenten Antifaschismus!