Kein Ort für Neonazis? Keine städtische Unterstützung für Bollstein Kiel!

Wer ab und zu bei lauen Temperaturen und mit offenen Augen durch Kiel spazieren geht, dem_der werden mitunter vielleicht schonmal martialisch gestalteten T-Shirts mit der Aufschrift „Bollstein Kiel“ aufgefallen sein, die nicht selten von Thorshämmern oder anderen fragwürdigen Symboliken untermalt sind. Hinter dem Namen „Bollstein Kiel“ verbirgt sich ein Freizeitfußballclub aus Mettenhof, der sich laut der offiziellen Internetpräsenz des Stadtteils im Jahr 2007 als unabhängige Selbsthilfeinitiative von Betroffenen sozialer Benachteiligung gegründet hat, um über die wöchentlichen Trainings, gelegentliche Turniere und gemeinsame Feiern „weg von der Straße“ zu kommen.1 So weit so gut, sollte man meinen. Tut man die Außendarstellung des „Straßenfußballclubs“ auf seinen T-Shirts jedoch nicht vorschnell als zufällige Geschmacksverirrung ab, sondern schenkt dem glauben, was in Mettenhof und darüber hinaus vielerorts offen oder hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird,2 schaut also mal etwas genauer hin, erscheint die etwa 30-köpfige „Bollsteiner Crew“, die über ein Umfeld von bis zu 150 Personen verfügen soll, schnell in einem deutlich problematischeren Licht.

 

Offizielles Team-Foto auf www.mettenhof.de .

Offizielles Team-Foto auf www.mettenhof.de .

 

Jährlich veranstaltet Bollstein Kiel im Spätsommer ein eigenes Fußballturnier auf dem Nordmarksportfeld der Stadt Kiel. Dieses Jahr will man am Samstag, 8. September die bereits fünfte Auflage feiern, weshalb „dieses Jubiläums-Turnier sich von allen anderen merkbar abheben soll“, wie es in der Einladung heißt. Zeltplätze seien vorhanden und Livemusik beim anschließenden Lagerfeuer in Planung.3 An sich kein Problem, stutzig macht jedoch, dass der Text an die „Kameraden/innen“ mit der Randbemerkung versehen ist, dass man sich erhoffe, „das sich weitere deutsche Straßenfußballclub´s dem Jubiläums-Turnier anschließen werden“.4

Dass es sich auch bei diesen Formulierungen wieder nicht um ungeschickte Wortwahl, sondern um das bewusste Programm von Bollstein handelt, wird spätestens dann offenkundig, wenn man sich etwas durch das offizielle Vereinsforum im Internet klickt. In einer dort dokumentierten Rede, die der Club-„Präsi“ offenbar anlässlich des vierjährigen Bestehens von Bollstein Anfang 2011 gehalten hat, wird eine deutlichere Sprache gesprochen: „Nun ist es schon bald vier Jahre her, als sich ein Paar wagemutige Mettenhofer Jungs sich in den Kopf setzten, eine Organisation ins Leben zu rufen. Die besonders Deutschen Menschen, die in diesen Antideutschen System verloren haben, neue Hoffnung zu geben. Die es zulässt auf Freundschaft, Kameradschaft und Zusammenhalt auf der Strasse zu kämpfen. Aus einer Schnapsidee dieser tapferen Mannen Wurde alsbald zum schrecklichen aller Ausländer und Linken Spinnern. Bittere Realität!“.5


Diese in der Tat bittere Realität besteht darin, dass sich in Mettenhof eine Freizeitfußballmannschaft als Zufluchtsort sozial ausgegrenzter Menschen etabliert hat, an dem gezielt nationalistische und rassistische Hetze verbreitet wird. Dies nicht nur clubintern, sondern auch in aller Öffentlichkeit: So wurde Bollstein Kiel der Wiederantritt bei einem Turnier der Brücke e.V. in Eckernförde verwehrt, nachdem Mettenhofer Spieler dort 2010 durch rassistische Äußerungen negativ aufgefallen waren. Im Bollstein-Internetforum sah man sich daraufhin im schlechtesten NPD-Jargon als Opfer vermeintlicher „Inländerfeindlichkeit“ gegen Deutsche.6

Dass hinter diesen Äußerungen noch mehr als bloße Stumpfheit rechtslastiger deutscher Stammtische steht, wird in der Jubiläumsrede wenig später ganz offen eingestanden, als den Bollsteinern Dankesgrüße „von den inhaftierten Kameraden Für Pakete, Julfestkarten und Briefmarken, die sie über Post erhalten haben [im] Rahmen einer Spendenaktion, die wir Bollsteiner auch dieses Jahr durchgeführt haben“ übermittelt wurden, mit der „vier Gefangenen in Schleswig Holstein eine kleine Freude“ gemacht und „somit unsere Solidarität für Politische Inhaftierten Kameraden“ ausgedrückt werden sollte. Als politisch inhaftierte Kameraden werden nachfolgend u.a. keine Geringeren als Peter Borchert, lange Jahre führender schleswig-holsteinischer Neonazi-Aktivist und heutiges Bandidos-Mitglied, und der Nazi-Mörder Kai Diesner, der seit 1997 in Lübeck inhaftiert ist, genannt.7

 

Bollstein Kiel auf dem Brücke e.V.-Turnier in Eckernförde 2010.

 

Die Flut an Hinweisen darauf, dass bei Bollstein eine bewusste Strategie verfolgt wird, mittels der Bereitstellung einer sozialen Anlaufstelle eine niedrigschwellige Schnittstelle zur Neonazi-Szene zu schaffen, verdichtet sich dann zu einem Fakt, wenn man führende Personalien des Clubs ins Visier nimmt. Die offizielle Internetpräsenz Mettenhofs nennt als Pressesprecher und Gründungsmitglied von Bollstein einen „Mario“. „Marios“ voller Name ist Mario Hermann, der Beobachter_innen der lokalen Naziszene seit den früheren 1990ern ein Begriff und auf zahlreichen Bollstein-Fotos unschwer zu erkennen ist. Zunächst als Neonazi-Skinhead in verschiedene Gewaltdelikte verwickelt,8 war Hermann um die Jahrtausendwende zusammen mit Neonazis wie Peter Borchert, Peter von der Born oder Patrick Thiele in der Kieler Kameradschaft und im damals offen nationalsozialistischen Flügel der NPD aktiv.9 Des Weiteren galt er auch später noch als Schnittstelle zwischen politisch organisierter und subkultureller rechter Szene. Dass Hermann, der auch namentlich als Betreiber des Internetforums angegeben wird,10 politischer Stichwortgeber bei Bollstein und Urheber der zitierten Äußerungen ist, ist wahrscheinlich.

 

Mario Hermann (Bollstein-Turnier, Nordmarksportfeld 2010), Neonazi Mario Hermann früher.


Dass auf zahlreichen offen einsehbaren Fotos von Bollsteiner Zusammenkünften Personen den Hitlergruß zeigen bzw. andeuten, dass die deutsche Nationalflagge omnipräsent ist und dass zahlreiche Bollstein-Mitglieder in ihrem äußerlichen Auftreten gängigen Neonaziklischees entsprechen, sind in Anbetracht der gewichtigen Faktenlage nur noch als folgerichtige Bestätigungen dafür zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich bei Bollstein Kiel um ein maßgeblich von Neonazis beeinflusstes und genutztes Projekt handelt.

Bollsteiner Festkultur: Weihnachtsfeier 2011 (3.v.l. Mario Hermann), Spanferkelessen 2011.

Die Stadt Kiel nutzt diesen offenkundigen und scheinbar durchaus erfolgreichen Versuch von Neonazis im städtischen Leben Fuß zu fassen, um sich ihrer Verantwortung für den zunehmenden Mangel an unkommerziellen Anlaufstellen und Freizeitangeboten in der Landeshauptstadt, insbesondere für die vielen Verlierer_innen des alltäglichen kapitalistischen Konkurrenzkampfes, bequem zu entledigen. Sie hofiert Bollstein nicht nur, indem sie den Club im Internet bewirbt und Sportplätze wie den der Max-Tau-Schule zum Training oder das Nordmarksportfeld für Turniere wie am 8. September zur Verfügung zur Verfügung stellt. Das st@rtbüro Mettenhof, ein Projekt des jobcenter.kiel und der Brücke e.V., hält es sogar für unbedenklich, wider ihres spätestens seit dem Eklat beim Brücke e.V.-Turnier 2010 in Eckernförde besseren Wissens von deren rechten Tendenzen, ausgerechnet den bekannten Bollsteiner Gesichtern im Rahmen des Projektes „WohnWissen in Mettenhof“ die Betreuung eines Spielmobils im Freizeit- und Bewegungspark am Heidenberger Teich zu übertragen.11

All dies entlarvt inszenierte städtische Werbekampagnen wie „Kein Ort für Neonazis“ als bloße Imagepolitur ohne jegliche Konsequenz. „Kein Ort für Neonazis“ ernst genommen bedeutete mindestens die Verweigerung jeglicher Unterstützung für Bollstein durch städtische Infrastruktur: Löschung der Vereins-Vorstellung auf www.mettenhof.de, Aufkündigung der Sportplatznutzung an der Max-Tau-Schule, keine Entledigung städtischer Sozialarbeit in Mettenhof an Bollstein-Mitglieder und Absage des bevorstehenden Bollstein-Turniers am 8. September auf dem Norder.

(Alle Fehler in den Zitaten im Original.)

Versuch der „AG Kiel“ in Mettenhof aufzulaufen endet nach 20 Minuten

Am 7. Juli haben etwa 8 Neonazis der „AG Kiel“ versucht im Stadtteil Mettenhof Flugblätter zu verteilen, genau an dem Ort, wo bereits am 15.6. eine erfolgreiche antifaschistische Kundgebung zur Aufklärung über neonazistische Aktivitäten in Kiel stattfand.


Auch diesmal haben AntifaschistInnen im Vorfeld von der geplanten Aktion der selbsternannten „Autonomen Nationalisten“ mitbekommen. Da der Auftritt der Neonazis jedoch nach kurzer Zeit aufgrund von sich anbahnenden Protesten von AnwohnerInnen von der Polizei beendet wurde, konnte sich eine Gruppe AntifaschistInnen, welche kurz nach Verlassen der Nazis am Kurt-Schumacher-Platz ankam, darauf beschränken die Anwohner abermals über die Aktivitäten von „AG Kiel“ und anderen Neonazis aufzuklären.

Die Antifas breiteten ein Transparent aus und verteilten auf dem Kurt-Schumacher-Platz und in den umliegenden Geschäften etwa eine halbe Stunde lang mehrsprachige Flyer. Viele AnwohnerInnen zeigten sich erfreut über diese Aktion und versicherten, dass öffentliche Auftritte von Neonazis in Mettenhof nicht geduldet würden und bedankten sich bei den AntifaschistInnen für ihre Anwesenheit.

Keine Aktionsräume für Nazis – weder in Mettenhof noch sonstwo!

Antifaschistische Kundgebung in Kiel-Mettenhof

Um ein weiteres mal auf die zunehmenden Aktivitäten von Neonazis in Kiel und im restlichen Schleswig-Holstein aufmerksam zu machen, führten heute etwa 30 Antifaschist/-innen eine antifaschistische Kundgebung im Kieler Stadtteil Mettenhof auf dem Kurt-Schuhmacher-Platz durch. Dabei wurden hunderte mehrsprachige Flugblätter an die Passant/-innen und Anwohner/-innen verteilt und mit Transparenten und Redebeiträgen zum Widerstand gegen die derzeit sehr aktive Kieler Neonazi-Szene um die „Aktionsgruppe Kiel“ aufgerufen.

Auf besonderes Interesse vor allem bei mehreren Dutzend Mettenhofer Jugendlicher stieß das kulturelle Begleitprogramm der Kundgebung in Form eines Auftritts der HipHop Künstler LPP (Kiel) und Sgt. Sade (Flensburg).
lpp
In den vergangenen Monaten kam es zu einer deutlichen Zunahme von Aktivitäten von Kieler und Schleswig-Holsteinischen Neonazis aus dem Spektrum der selbsternannten „autonomen Nationalisten“. Diese reichten vom Verteilen rassistischer, nationalistischer und antisemitischer Flugblätter, über Wahlkampfhilfe für die faschistische Wahlpartei DVU und Versuche von Kundgebungen, bis hin zu brutalen Angriffen auf vermeintlich oder tatsächlich linke Personen und Einrichtungen. Eines der jüngsten und gleichzeitig brisantesten Beispiele offener neonazistischer Gewalt ist der Brandanschlag auf das linke Kulturzentrum T-Stube in Rendsburg in der vergangenen Woche. Antifaschist/-innen reagierten mit zahlreichen Aktionen auf diese Entwicklungen, zu deren eindrucksvollsten z.B. die breit getragene Spontandemonstration gegen Neonazigewalt durch die Wik am 5. Juni mit über 700 Teilnehmer/-innen gehörte.
Weitere Bilder gibt es unter http://de.indymedia.org/2009/06/253437.shtml