Redebeitrag auf der Kundgebung gegen den Naziaufmarsch am 21.8.10 in Neumünster

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Neumünsteranerinnen und Neumünsteraner!

Als gäbe es keine anderen drängenden Dinge zu erledigen, müssen wir uns heute mal wieder um die Verhinderung eines widerlichen Aufmarschs rassistischer, nationalistischer und antisemitischer Horden kümmern. Als stünde es nicht eigentlich an, in Zeiten krisenhafter Zuspitzungen des kapitalistischen Irrsinns auf gesellschaftlicher wie auf ökologischer Ebene, angesichts mordender Bundeswehrtruppen in Afghanistan und vor Somalia oder des totalen Ausbaus des autoritären bundesrepublikanischen Überwachungsstaats, eine schlagkräftige emanzipatorische Linke zu organisieren, die dem weltweiten Normalzustand von Krieg, Katastrophe, Ausbeutung und Unterdrückung vielleicht doch noch eine schon lange überfällige vernünftige Perspektive entgegen setzen kann.

Nein, wir müssen heute mal wieder wertvolle Zeit dafür opfern, klarzustellen, was jeder halbwegs nachdenkende Mensch nicht erst seit der Zerschlagung Nazideutschlands vor über 65 Jahren wissen sollte: Dass es unter keinen Umständen hinzunehmen ist, wenn verhinderte neonazistische Massenmörder ihre widerliche Ideologie der Ausgrenzung und Vernichtung, ihren irrationalen Kult von Rasse, Volk und Nation auf die Straße tragen wollen. Und wir sind es Leid, uns als Antifaschist/-innen dafür rechtfertigen zu müssen, dass wir das tun, was doch eigentlich von einer deutschen Gesellschaft, die sich anmaßt zu behaupten, den Mord ihrer Großeltern an 60 000 000 Menschen aufgearbeitet zu haben, als das Mindeste zu erwarten wäre: Sich den neuen Nazis in den Weg zu stellen und sie fortzujagen, wo immer sie es wagen, sich blicken zu lassen. Das gilt heute, wo sie niemandem Geringeren als einem der Haupttäter des NS-Terrorstaates, dem Kriegsverbrecher und Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess ihre Ehre erweisen wollen – da hilft auch die lächerliche Verpackung des schon oft verklärten Preußenkönigs Friedrich Zwo nix -, genauso, wie in jeder alltägliche Situation sonst. Eigentlich.

Denn natürlich wird es heute mit hoher Wahrscheinlichkeit so laufen, wie so oft: Eine Minderheit von Antifaschist/-innen wird den Kopf hinhalten und Prügel durch den Polizeiknüppel riskieren, während eine übergroße Mehrheit den geschichtsrevisionistischen und ns-verherrlichenden Nazi-Aufmarsch ignorieren oder sich maximal über die unnötigen Verkehrsbehinderungen beklagen wird. Nachträglich werden dann zahlreiche Stimmen zu hören sein, die – je nachdem wie der Tag verlaufen ist -, wahlweise erleichtert sind, dass die Polizei alles im Griff hatte und alles ruhig geblieben ist oder aber welche, die schockiert feststellen, dass angeblich mal wieder ein neues Maß an so bezeichneter extremistischer Gewalt Neumünster überzogen habe, gegen das sich der arme Bürger und die leidtragende Polizei endlich zu wehren habe. Die eigentlich einzig relevante Frage hierzu, nämlich ob und unter welchen Umständen der Naziaufmarsch stattfinden konnte, wird in den Hintergrund rücken und durch die Frage nach unpolitischer Ruhe und Ordnung verdrängt.
Dazu wollen wir an dieser Stelle nochmals klarstellen: Nein, es ist nicht unser Ziel, dass alles möglichst ruhig bleibt wenn Dutzende oder gar Hunderte Nazis durch die Stadt ziehen – unser Ziel ist es, diesen wie jeden anderen widerlichen Naziaufmarsch unmöglich zu machen! Und ja, wir sehen den Einsatz aller dafür nötigen Mittel als legitim an!

Und genauso wie uns die Ignoranz und Selbstgefälligkeit der Ruhe- und Ordnungs-Fanatiker/-innen ankotzt, ist uns natürlich klar, welches Denkmuster es ist, das in ihren Köpfen wirkt: Wenn allerorts, von etablierter Politik bis in jedes noch so provinzielle Käseblatt, versucht wird, sich mit etwas, das sich „Extremismustheorie“ schimpft und gerne ein wissenschaftlicher Ansatz wäre, versucht wird, jegliches politisch-soziale Konfliktpotential zu erklären, ist es wenig verwunderlich, wenn Antifaschist/-innen gleichsam wie Nazis nur noch als Störenfriede der vorgeblich heilen bürgerlichen Welt gelten und ihr völlig gegensätzlicher politische Hintergrund ausgelöscht wird. Das Märchen vom Extremismus – übrigens entwickelt vom Verfassungsschutz – will uns mit seiner Logik auf Stammtischniveau nämlich weismachen, dass alles, von dem sich die selbsternannten bürgerliche Mitte gerade so bedroht fühlt, das selbe sei und schmeißt fröhlich ein buntes Potpouri von noch so unterschiedlichen Ideen in einen Extremismustopf, ganz egal wie grundverschieden das jeweilige politische Programm und seine Begründung bei Nazis, islamischen Fundamentalist/-innen oder halt Linken bekanntermaßen aussieht. Was dabei rauskommt, sind – abgesehen von der Undenkbarmachung jeglicher gesellschaftlicher Gegenentwürfe zum Bestehenden – z.B. Verbote antifaschistischer Gegendemos wie vor einer Woche in Bad Nenndorf und damit nicht zuletzt die Rehabilitierung nationalsozialistischer Ideologie als ein normaler politischer Ansatz unter vielen.

Und hier schließt sich der Kreis: Auch wenn vielen von uns der ständige Zwang, sich mit irgendwelchen Nazis herumschlagen zu müssen auf die die Nerven gehen mag, bleibt dies doch eine unverzichtbare politische Notwendigkeit – gerade weil das kleingeistige Niveau des Nazi- Weltbildes unterm Strich leider doch deutlich mehr Anschlusspunkte an die Logik einer derzeitigen Mehrheitsgesellschaft bietet, die sich willig an intellektuellen Tiefstleistungen wie der herrschaftssichernden Extremismustheorie orientiert. Umso mehr gilt dies bekanntlich in Krisenzeiten, in denen die bürgerliche Ruhe und Ordnung ob der unvermeidlich aufklaffenden vielseitigen sozialen Widersprüche höchstens noch auf dem Papier existieren kann und der Ruf nach emanzipationsfeindlichen Scheinlösungen absehbar ist. Unser Auftrag bleibt es daher, den Nazis samt ihrer menschenverachtenden Ideologie ihre Handlungsräume größtmöglich einzuschränken und dafür zu sorgen, dass „Nie wieder!“ auch „Nie wieder!“ bleibt. Das sind wir nicht nur unserem Verstand, sondern vor allem auch den Millionen Menschen schuldig, die damals wie heute Opfer der faschistischen Barbarei wurden und werden.

Es bleibt dabei: Nazis bekämpfen ist wie Müll raustragen – nervig, aber irgendwer muss es ja tun.
Und jetzt: Alle gemeinsam den Naziaufmarsch verhindern!