NMS: Abgesagte NPD-Kundgebung vor Flüchtlingsunterkunft und antifaschistische Gegenaktivitäten

Für Samstag, den 18. Juli, wurde vom NPD-Kreisverband Neumünster-Segeberg eine Kundgebung unter dem Titel “Stoppt die Asylflut” vor einer Flüchtlingsunterkunft in der Gemeinschaftssschule Brachenfeld angemeldet. Diese Unterkunft wurde vor wenigen Tagen provisorisch in den Sporthallen der Schule eingerichtet, da die Erstaufnahmestellen in Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern überfüllt sind. Bis zu 300 Flüchtlinge, vornehmlich aus den Kriegsregionen Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea, sollen für einen kurzen Zeitraum von 7 bis 10 Tagen in den Turnhallen einquartiert, um dann auf andere Erstaufnahme-Einrichtungen weiterverteilt zu werden.

Die rassistische Kundgebung wurde primär über Internetforen und sozialen Netzwerken beworben, möglicherweise aus der Befürchtung antifaschistischer Gegenaktivitäten. Dies schützte allerdings nicht vor dem Bekanntwerden der Information und so mobilisierten linksradikale Gruppen, Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden, Hochschulgruppen und Parteijugenden spontan zu einer gemeinsamen Zuganreise aus Kiel, um die Nazikundgebung zu verhindern und sich mit den Flüchtlingen zu solidarisieren. Diesem Aufruf folgten am Samstagmorgen 50 Zugreisende nach Neumünster und ohne jegliche Polizeibegleitung konnte die Antifaschist_innen den Weg zur Flüchtlingsunterkunft hinter sich bringen und dort den eigentlichen Ort der NPD-Kundgebung, an der Einfahrt der Gesamtschule, besetzen. Auch dabei machte die Polizei keinerlei Anstalten dies zu verhindern, sodass sich im weiteren Verlauf immer mehr Leute der antifaschistischen Kundgebung anschlossen und diese bis aus 130 Teilnehmende anwuchs. Der neumünsteraner NPD-Ratsherr Mark Proch beließ es angesichts der Situation bei einem Kurzbesuch inkognito um sich dann wieder aus dem Staub zu machen. Wenig später kam die offizielle Bestätigung, dass die Kundgebung seitens der NPD wieder abgemeldet wurde. Kurz darauf machten sich die anwesenden Antifaschist_innen auf den Weg zum „Willkommensfest“, dass von Anwohner_innen, Schüler_innen und Lehrer_innen der IGS Brachenfelde direkt auf dem Schulhof organisiert wurde, um ihre Solidarität gegenüber den Flüchtlingen auszudrücken. Auf dem anschließenden Rückweg zum Bahnhof wurde noch spontan durch die Innenstadt Neumünsters demonstriert und mittels Parolen und Megaphon-Durchsagen auf die erfolgreiche Verhinderung der NPD-Kundgebung und die rassistische Flüchtlingspolitik Deutschlands und der EU aufmerksam gemacht. Die heraneilenden Streifenwagen wurden rechts liegen gelassen, sodass im Anschluss ohne weitere Probleme die Aktionen beendet wurden.

Aus antifaschistischer Perspektive also ein guter Tag in Neumünster, innerhalb von nur 12 Stunden konnten über 100 Leute mobilisiert und die NPD-Kundgebung verhindert werden. Zudem setzten Anwohner_innen mit dem „Willkommensfest“ ein wichtiges antirassistisches Zeichen und die gesellschaftliche Isolation der Flüchtlinge konnte für einen Moment gebrochen werden.

Das Neumünster allerdings auch über einen Nährboden für Rassist_innen verfügt, zeigt der traditionell rechte Einschlag der Stadt, mit dem ehemaligen Club 88, der Nazikneipe Titanic und der Rolle der NPD, für die Mark Proch bei der Kommunalwahl 2013 einen Sitz im Rathaus erlangen konnte. Und das dieser Nährboden auch in etwaigen Mobilisierungen gegen die Flüchtlingsunterkünfte aufgehen könnte unterstreicht eine inzwischen gelöschte Facebook-Gruppe unter dem Titel “Besorgte Eltern Neumünster” in der um die hundert Anwohner_innen ihren Hass gegen die Asylsuchenden teilweise freien lauf ließen und sogar zu Brandanschlägen auf die Unterkünfte aufriefen.

Das solche Aufrufe keine Einzelfälle eines braunen Neumünsters sind, sondern mittlerweile in Deutschland wieder Hochkonjunktur besitzen, zeigen die letzten Monate in denen es fast täglich zu Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, von Kundgebungen bis hin zu Schüssen und Brandanschlägen, kam. Allein am letzten Wochenende gab es zwei Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Remchingen, Baden-Württemberg und Aschaffenburg, Bayern.

Auch in Schleswig-Holstein kam es in den letzten sechs Monaten zu mindestens zwei bekanntere Fällen von Brandstiftungen an Flüchtlingsunterkünften. In Escheburg bei Hamburg wurde in einer Doppelhaushälfte einer Wohnsiedlung am helllichten Tag ein Brand gelegt, am Tag darauf sollten sechs irakische Flüchtlinge in dieses Gebäude einziehen. Der später gestellte Täter, ein 39jähriger Finanzbeamter aus dem Haus gegenüber, verteidigte sich vor Gericht mit stumpfsten rassistischen Klischees, wonach er Angst um seine Frau und seine Kinder gehabt hätte. Der wenig reumütige Täter wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Ende Juni diesen Jahres kam es zu einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Lübeck-Kücknitz, unweit des Gebäudes wurden rechte Graffitis gesprüht. Auch in Kücknitz hatten lokale Neonazis in den Wochen zuvor mit Stickern und Flyern gegen die Unterkunft gehetzt. In diesem Fall wurde am Mittwoch ein Verdächtiger festgenommen, der 47jährige Lübecker wurde beim sprühen rassistischer Parolen erwischt, welche deckungsgleich mit denen am Tatort des Brandanschlags seien.

Damit es weder Neumünster noch sonst wo zu ähnlichen Folgen wie in den aufgezeigten Fällen kommt, bedarf es einerseits einen Antifaschismus der solchen öffentlichen Auftritten der NPD und anderen Rechten keinen Raum gibt, anderseits bedarf es kontinuierlicher Solidaritäts-Arbeit um die, von der rassischen Gesetzgebung geschürten Isolation von Flüchtlingen zu brechen und rassistische Ressentiment zu entkräften. Positive Beispiele gibt es sowohl aus Lübeck als auch aus Neumünster. So haben sich in Lübeck kurz nach dem Bekanntwerden des Brandanschlags über 100 Anwohner_innen zu einer Kundgebung versammelt, um sich solidarisch mit den Flüchtlingen zu zeigen und ihren Unmut und ihre Betroffenheit über den Brandanschlag zum Ausdruck zu bringen oder eben in Neumünster, wo im Umfeld der Gesamtschule Brachenfeld verschiedene Willkommensinitativen für die Flüchtlinge organisiert wurden.

Für uns muss das bedeuteten, nicht nur einen Kampf gegen diese rassistischen Brandstifter des Wortes und der Tat zu führen, sondern auch einen Kampf gegen die rassistische Asylpolitik Deutschlands und der EU, die nach Innen über die Unterbringung in Massenunterkünften, der Vorenthaltung von Sprachkursen und Schulunterricht und dem Verbot von Lohnarbeit zur totalen Isolation führen soll und nach außen über die Abschottung der EU-Außengrenzen mit Inkaufnahme von zehntausenden Toten funktioniert.

In diesem Sinne:

Say it loud, say it clear – Refugees are welcome here!

Gegen die herrschende Ordnung der Welt – Bleiberecht für alle bis jede Grenze fällt!

Lübeck: Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete

Der rassistische Normalzustand und seine immer aktionistischere Auslebung machen uns betroffen und wütend, auch wenn sie nicht von ungefähr kommen. In Zeiten, in denen sich ein Großteil der Bevölkerung von humanitären Gefühlen verabschiedet hat und der Tod von tausenden Menschen im Mittelmeer billigend in Kauf genommen wird, in Zeiten, in denen die NPD-Rhetorik der „Wirtschaftsflüchtlinge“ Einzug in den gesellschaftlichen Diskurs gefunden hat, ist ein solcher Anschlag nicht verwunderlich. Gerade in Lübeck trat in den letzten Wochen in der Debatte rund um die geplante Erstaufnahmeeinrichtung im Bornkamp immer deutlicher in Erscheinung, wie tief rassistische Ressentiments verwurzelt sind und wie unverhohlen dieser zur Stimmungsmache bedient wird. Bereits in den 90er Jahren wurde die Stadt Lübeck durch zwei Brandanschläge auf die Synagoge und den bis heute unaufgeklärten Brandanschlag auf die Unterkunft für Geflüchtete in der Hafenstraße mit zehn Toten und 38 zum Teil lebensbedrohlichen Verletzten zum Symbol antisemitischer und rassistischer Gewalt. Knapp 20 Jahre nach dem Brandanschlag in der Hafenstraße wird Lübeck durch den Brandanschlag im Stadtteil Kücknitz erneut Schauplatz rassistisch motivierter Taten.

Am 10. Dezember 2014 luden verschiedene Kücknitzer Vereine, Verbände, Institutionen und Parteien zur einer Informationsveranstaltung ins Kücknitzer Gemeindehaus ein, um über den Bau der geplanten Unterkunft für Geflüchtete zu informieren. Entgegen dem bundesweiten Trend verlief die Veranstaltung nach Bewertung von Lübecker Antifaschist_innen durchaus positiv. Keiner der bis auf den letzten Platz belegten anwesenden Kücknitzer Anwohner_innen bediente sich rassistischer Ressentiments oder äußerte sich kritisch oder abwertend gegen den Bau der Unterkunft. Vielmehr war es den Anwohner_innen ein Bedürfnis, sich aktiv in den Gestaltungsprozess zur Integration der Geflüchteten mit einzubringen. Listen für Unterstützer_innen wurden erstellt, ein Flipchart wurde eingerichtet, auf dem u.a. Fragen und Anregungen zur praktischen Unterstützung gesammelt wurden. Bereits einige Tage vor der Veranstaltung wurden Antifaschist_innen kontaktiert, um ggf. (organisierte) Neonazis von der Veranstaltung auszuschließen. Es ist den Veranstaltern ein dringendes Bedürfnis gewesen, Nazis keine Plattform zu geben und im Rahmen dieser Informationsveranstaltung ihren rassistischen Parolen und Gedankengut in Umlauf zu bringen und womöglich dafür zu sorgen, dass die Stimmung kippt. So wurde vor der Veranstaltung ein stadtbekannter Nazi, der im Umfeld der Lübecker NPD zu verorten ist, von Antifaschist_innen identifiziert und von der Veranstaltung ausgeschlossen.

Der abgewiesene, in Kücknitz lebende, 47-jährige Dirk Müller ist seit Jahren innerhalb der extremen Rechten in Erscheinung getreten und bekannt dafür, dass er die Auseinandersetzung und Konfrontation sucht. So beteiligte er sich beispielsweise am 08. Mai 2010 im Rahmen des „Ehrendienstes“ auf dem Lübecker Vorwerker Friedhof, um sich an Reinigungsarbeiten von Denkmälern deutscher Kriegstäter zu beteiligen, wozu bis heute regelmäßig extrem rechte Organisationen aufrufen. In Folge dieser Veranstaltung griff Müller mit weiteren Nazis anwesende Antifaschist_innen mit einer Gartenharke an, um diese zu verletzen. Der Angriff konnte abgewehrt werden. In Hinblick auf die immer kleiner werdende und unorganisierte Naziszene in Lübeck halten Antifaschist_innen es für wahrscheinlich, dass, wenn der Brandanschlag aus den Reihen der extrem rechten Szene in Lübeck verübt worden ist, der in Kücknitz lebende Müller Informationen über die Täter_innen besitzt und/oder über das Vorhaben im Vorfelde informiert war.

https://luebeck.systemausfall.org/wp-content/uploads/2015/07/Brandanschlag-K%C3%BCcknitz.jpg

Der NPD-Kreisverband Lübeck-Ostholstein, unter der Führung von Jörn Lemke, griff ein Tag nach der oben beschriebenen Informationsveranstaltung das Thema öffentlich auf. Unter der Überschrift „Neues Asylantenheim in Lübeck – Gutmenschen in Kücknitz freuen sich über weitere 100 Flüchtlinge“ schrieb Lemke im Artikel: „Nur die NPD leistet Widerstand gegen den ausufernden Asylantenzustrom“. Ob dieser hohlen Phrase Taten folgten, ist ungewiss, jedoch gilt der in der Naziszene umstrittene Lemke als Dirigent aktionistischen Handelns. So befehligte Lemke am 17. November 2013 einen Angriff auf Antifaschist_innen, welche die Anreise eines Vorabtreffpunktes von Nazis in Neumünster zum „Heldengedenken“ in Groß Kummerfeld dokumentierten.

Bereits im Jahr 2012 organisierte Lemke eine breit angelegte „Propaganda-Aktion“, um mit Flugblättern und mehreren tausend Aufklebern gegen eine entstehende Unterkunft für Geflüchtete im Lübecker Stadtteil Moisling zu hetzen. Durch kontinuierliche antifaschistische Aufklärungsarbeit konnte der Nazi-Propaganda damals wirksam entgegengetreten werden. Bis heute bedient sich Lemke des Konzepts der massiven Verteilung von Propagandamaterial. So wurde am 20. Juni 2015 auf der lokalen NPD-Website ein mit Lemkes Namen unterzeichneter Aufkleber beworben, der sich gegen die Unterbringungen von Geflüchteten richtet. Eben dieser Aufkleber wurde um und auf dem Gelände der Kücknitzer Unterbringung verklebt, auf dem Unbekannte neun Tage nach der Bewerbung des Propagandamaterials einen Brandanschlag verübten.

Am Montag machten sich Antifaschist_innen auf den Weg nach Kücknitz, um sich ein Bild vor Ort zu machen. In Dialogen mit Kücknitzer Anwohner_innen, die in direkter Nähe zur entstehenden Unterkunft leben, wurde tiefe Bestürzung zum verübten Brandanschlag deutlich. Bereits am Abend versammelten sich spontan über 100 Anwohner_innen zu einer Kundgebung in direkter Nähe zur Unterkunft, um sich solidarisch mit Geflüchteten zu zeigen und ihren Unmut und ihre Betroffenheit über den Brandanschlag zum Ausdruck zu bringen.

Wir als Antifaschist_innen sehen es als unsere Pflicht, uns in solche Vorgänge einzumischen und gewisse Entwicklungen zu kritisieren und zu verändern. Wir müssen Rassismus benennen, ihn aufzeigen und entschieden bekämpfen. Unser Anliegen muss sein, dafür zu sorgen, dass sich rassistische Brandanschläge nicht wiederholen. Mit Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland scheinen wir dafür noch nicht die geeigneten Mittel gefunden zu haben. Trotz des Brandanschlags in Kücknitz halten Antifaschist_innen die Mehrheit der Kücknitzer Anwohner_innen für aufgeschlossen und solidarisch gegenüber Geflüchteten. Der Anteil an Kritiker_innen scheint gering zu sein. Doch solange Menschen rassistische Hetze betreiben, Wohnhäuser angreifen und anzünden, werden wir dagegen kämpfen, die Betroffenen unterstützen und den Täter_innen zeigen, was wir von ihnen halten. Solange Nazis und/oder Rassist_innen weiter stumpf rassistische Klischees bedienen, sich an der Hetze beteiligen und sich im Stillen über die Angriffe freuen, werden wir da sein und dagegen vorgehen und dem rassistischen Mob keine Gelegenheit geben sich zu formieren.

Solidarität auf die Straße tragen – Refugees Welcome.

Rassismus tötet – damals wie heute!


Antifaschistische Koordination Lübeck

Demo „Refugees Welcome – Gegen jeden Rassismus“ | Samstag, 11.07. | 14 Uhr | Bahnhof, Lübeck

Gemeinsame Zuganreise aus Kiel: Abfahrt 12.44 Uhr | Treffen um 12.30 an den Fahrkartenautomaten




Pressespiegel


Lübecker Nachrichten

29.06.2015 – Brandanschlag auf geplante Flüchtlingsunterkunft

29.06.2015 – Anwohner und Politiker verurteilen Brandanschlag

30.06.2015 – Albig verurteilt Anschlag auf Flüchtlingsunterkunft als feige und widerlich


HL live

29.06.2015 – Anschlag auf geplante Flüchtlingsunterkunft

29.06.2015 – Jusos entsetzt über Brandanschlag

29.06.2015 – Grüne: Anschlag rasch aufklären

29.06.2015 – CDU: Gemeinschaftsunterkunft ist richtig

29.06.2015 – SPD: Entsetzen über Brandanschlag

29.06.2015 – Pröpstin: Unsere Stadt bleibt weltoffen!


Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag

29.06.2015 – Lübeck-Kücknitz: Brandanschlag auf Asylbewerberheim-Baustelle

30.06.2015 – Torsten Albig: Anschlag in Lübeck ist „feige und widerlich“


taz

29.06.2015 – Flüchtlinge nicht willkommen


NDR

29.06.2015 – Brand in Lübecker Flüchtlingsunterkunft

30.06.2015 – Lübecker Brandanschlag: Belohnung für Hinweise


Hamburger Abendblatt

29.06.2015 – Anschlag auf Flüchtlingsheim – Stadt Lübeck verurteilt Tat

30.06.2015 – Albig: Anschlag auf Flüchtlingsunterkunft ist feige