[NMS] Internationalistisch-antifaschistische Demo „Freiheit für die katalanischen politischen Gefangenen!“, Bahnhof

Datum/Zeit
07.04.18
13:30


Freiheit für die katalanischen politischen Gefangenen!

Internationale antifaschistische Solidarität mit der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien!

Demonstration | Samstag, 7. April 2018

13.30 Uhr | Bahnhof | Neumünster

Gemeinsame Bahn-Anreise aus Kiel

Treffen 12.45 Uhr HBF / Abfahrt 13.02 Uhr mit dem RE

Anschließend: Podiumsdiskussion u.a. mit Marie Kapretz (Vertreterin der katalanischen Regionalregierung in Deutschland)
15.30 Uhr | DGB-Haus (Carlstr. 7) | Neumünster


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Am Sonntagmittag des 25. März 2018 wurde der ehemalige Regionalpräsident Kataloniens Carles Puigdemont in Schleswig-Holstein festgenommen. Rechtliche Grundlage war ein europäischer Haftbefehl, der kurz zuvor von der spanischen Zentralregierung erlassen bzw. erneuert wurde. Die Entscheidung über eine Auslieferung an den spanischen Staat liegt jetzt beim Oberlandesgericht Schleswig. Bis dahin sitzt Puigdemont in der Justizvollzugsanstalt Neumünster. Der Haftbefehl fußt auf dem diffusen Vorwurf der Rebellion und wurde in diesem Zuge gegen insgesamt 13 katalanische Politiker_innen erlassen, denen im Falle einer Verurteilung jeweils bis zu 30 Jahren Haft drohen. Diese Vorfälle reihen sich in die massive Repression des spanischen Staates gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung in jüngerer Vergangenheit ein.

Starke Teile dieser Bewegung verbinden Fragen der Unabhängigkeit mit einer umfassenden gesellschaftlichen Demokratisierung als Ausweitung von sozialen Rechten und Selbstbestimmung. Weitergehend kämpfen diese für eine emanzipatorische Perspektive jenseits der kapitalistischen Krisenverwaltung und fordern einen endgültigen Bruch mit dem Franquismus. In den letzten Monaten entwickelte sich die Bewegung zu einem demokratischen Massenaufstand gegen Austerität, Autoritarismus und Repression. Mit der Festnahme Puigdemonts macht sich die deutsche Regierung einmal mehr zur Handlangerin eines autoritären Regimes, das zudem in offener Tradition des spanischen Faschismus steht. Für die Sicherung der europäischen Außengrenzen und den Erhalt des neoliberalen Status quo gegen mögliche progressive Gegenmodelle wird damit der europaweite Rechtsruck in Kauf genommen und aktiv unterstützt.

Wir fordern die Freiheit der katalanischen politischen Gefangenen, keine Auslieferung von Carles Puigdemont durch die BRD und zeigen uns im Sinne eines antifaschistischen Internationalismus solidarisch mit den emanzipatorischen Kräften in Katalonien!

Unabhängigkeit und Repression – was ist los in Katalonien?

Spielte die katalanische Unabhängigkeitsbewegung bis in die 2000er Jahre eine eher marginale Rolle, spielten vor allem zentralstaatliche Blockaden verschiedener Reformversuche und Repression gegen die Bewegung eine zentrale Rolle für deren Aufschwung in den letzten Jahren. Einstige Bestrebungen einer republikanischen und föderalen Reform des zentralstaatlichen spanischen Nationalismus in den Nullerjahren, angestoßen durch den damaligen Premierminister Zapatero im Dialog mit katalanischen und baskischen Bewegungen, sollten 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur Francos einen nachholenden Demokratisierungsprozess der spanischen Gesellschaft auf den Weg bringen. Diese Initiative wurde aber letztendlich durch die starken reaktionären Kräfte des Post-Franquismus unterlaufen und verhindert. Daran anschließend haben vor allem lokale Bürger_innenbewegungen die katalanische Unabhängigkeit auf die politische Agenda gesetzt und die dortigen Regionalparteien vor sich hergetrieben. Weitere Relevanz bekam die Unabhängigkeitsbestrebung mit der ökonomischen Krise seit 2008 und der darauf folgenden Austeritätspolitik des spanischen Zentralstaates, in deren Zuge Sozialleistungen gekürzt und die Autonomiehaushalte beschnitten wurden, um mit dem umverteilten Geld spanische Privatbanken zu retten. Gleichzeitig wurden viele demokratische und soziale Reformen, die das katalanische Parlament in den letzten sieben Jahren verabschiedet hat, vom Zentralstaat blockiert. Insgesamt sind 39 fortschrittliche Gesetze, z.B. gegen Zwangsräumungen, gegen den Einsatz von Gummigeschossen, gegen Energiearmut oder für ein Grundeinkommen, von Oben annulliert oder blockiert worden.

Nach nicht bindenden Referenden und einer durch den spanischen Staat illegalisierten Volksbefragung 2014 verabschiedete das katalanische Parlament schließlich ein für den 1. Oktober 2017 angesetztes verbindliches Referendum über die Frage, ob Katalonien eine unabhängige Republik werden soll. Das Referendum wurde trotz erneuten Verbots des spanischen Verfassungsgerichts und gegen den Willen der Zentralregierung durchgesetzt. Bei der Befragung stimmten 90 Prozent der Teilnehmer_innen für die Unabhängigkeit. Die Mobilisierung für das Referendum und der Tag selbst waren von massiver Repression begleitet. Razzien, Festnahmen, Polizeigewalt, Internetzensur und die Beschlagnahmung von Wahlunterlagen konnten aber weder die hunderttausenden Unterstützer_innen der Unabhängigkeitsbewegung einschüchtern, noch das Referendum verhindern.

In den darauf folgenden Tagen brachte das katalanische Parlament die Gründung der durch das Referendum geforderten unabhängigen Republik auf den Weg, ohne jedoch eine Frist für die Ausrufung festzulegen. Madrid antwortete mit der Zwangsverwaltung Kataloniens nach Verfassungsartikel 155, worauf die Entmachtung der Regionalregierung, Anklagen gegen Angehörige der abgesetzten katalanischen Regierung und die Ansetzung für Neuwahlen des katalanischen Regionalparlamentes für Ende des Jahres erlassen wurden. Durchgesetzt wurden diese Verordnung mittels einer Besatzung durch Einheiten der spanischen Nationalpolizei und der berüchtigten Militärpolizei Guardia Civil. Puigdemont und weitere Angeklagte flüchteten ins Exil, andere Vertreter_innen aus Politik und Zivilgesellschaft wurden festgenommen und sitzen seitdem im Gefängnis. Auch diese Angriffe des spanischen Staates wurden mit Massenmobilisierungen beantwortet. Sowohl direkt im Anschluss an das Referendum, als auch Anfang November 2017 folgten Hunderttausende dem Ruf nach einem Generalstreik als Zeichen gegen Polizeigewalt und für die Freiheit der politischen Gefangenen.

Der Repression zum Trotz konnten bei der Zwangsneuwahl des katalanischen Regionalparlaments am 21. Dezember 2017 die Unabhängigkeit befürwortenden Parteien, wenn auch mit Verlusten, erneut die absolute Mehrheit gewinnen. Für diesen Fall hatte der spanische Premierminister Mariano Rajoy bereits angekündigt, das Parlament sofort wieder aufzulösen bzw. nicht antreten zu lassen. Seitdem verhindert die spanische Justiz effektiv die Konstituierung des Parlaments und die Besetzung des Ministerpräsident_innenamts, indem mögliche Kandidat_innen kriminalisiert und festgenommen werden. In diesem Zuge wurde auch der internationale Haftbefehl gegen Carles Puigdemont erneuert, auf dessen Grundlage er in Schleswig-Holstein nahe der dänischen Grenze bei Schuby verhaftet wurde.

Franquistische Kontinuitäten im spanischen Staat

Aktuell jährt sich der 40. Jahrestag der spanischen Verfassung, von offizieller Seite als 40 Jahre Demokratie gefeiert. Dabei war der Tod des Diktators Francisco Franco keineswegs das Ende des Franquismus, einem autoritär-konservativen Regime mit faschistischen Ausprägungen. Die Transición, also der Demokratisierungsprozess nach Francos Ableben im Jahr 1975, beruhte auf einem Manöver der herrschenden Klasse. Ein Staatspakt eröffnete zwar etwa der sozialdemokratischen PSOE und der kommunistischen PCE politische Teilhabe, dafür sicherten sich die Franquisten jedoch ihre Machtpositionen in Justiz, Wirtschaft und Sicherheitsapparaten. Außerdem wurde mit König Juan Carlos, wie von Franco persönlich gewünscht, eine Monarchie installiert und damit eine föderale Lösung und die Neu-Gründung der Spanischen Republik ausgeschlossen. Ein tiefgreifender Wandel fand nicht statt, vor allem verhinderte die Transición eine Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur. Im Zuge einer Amnestiegesetzgebung wurde Straffreiheit für alle politischen Taten vor 1977 garantiert, wodurch auch die Verantwortlichen an schätzungsweise mehr als 120.000 Morden an Franco-Gegner_innen im und im Anschluss an den spanischen Bürgerkrieg keinerlei juristischer Verfolgung unterlagen.

Diese Relikte des Franquismus wirken bis heute in der spanischen Gesellschaft fort. Eine politische Aufarbeitung der franquistischen Diktatur findet nicht statt und wird von der Rechten blockiert. Noch immer sind unzählige Straßen nach der Franco-Diktatur benannt, die Fundación Francisco Franco wird als Stiftung bei ihrem Ziel, das Andenken an und das Wirken von Francisco Franco aufrechtzuerhalten, mit öffentlichen Subventionen gefördert und Kirchen halten Messen zu Ehren Francos und anderer Franquisten ab. Die spanische Regierung ehrt ehemalige franquistischen Kämpfer, welche Hitler an der russischen Front unterstützten und weigern sich gleichzeitig die Massengräber, in denen die toten Republikaner_innen und Antifaschist_innen am Straßenrand verscharrt wurden, zu öffnen. Die Partido Popular (PP), die Partei von Ministerpräsident Mariano Rajoy, ist die direkte Nachfolgepartei der Alianza Popular, die während der Transición von hochrangigen franquistischen Beamten gegründet wurde. Nur logisch ist dann die Tatsache, dass zentralstaatliche Mobilisierungen gegen die Unabhängigkeit regelmäßig von offen faschistischen Kräften unterstützt werden und es in diesen Kontexten vermehrt zu rassistischen und faschistischen Übergriffen kam.

Sowohl die etablierte Politik als auch das Königshaus stehen keineswegs für Demokratie, sondern symbolisieren im Gegenteil die Kontinuität der franquistischen Macht im Staat. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung steht auch für ein Aufbegehren gegen dieses Modell von 1978 und seine Eliten. Die Forderung nach einem verfassungsgebenden Prozess beinhaltet die Aufarbeitung der Verbrechen der Franco-Diktatur und einem wirklichen Bruch mit dem Franquismus.

Spanische Königsdisziplin: Repression gegen progressive Bewegungen

Das autoritäre Fundament auf dem der spanische Staat angelegt ist, zeigt sich vor allem im Umgang mit politischen Gegner_innen und einer möglichen Gefährdung der politischen Ordnung, nicht nur in Katalonien. In den achtziger Jahren haben politische Funktionäre der damaligen sozialdemokratischen Regierung illegale paramilitärische Gruppen zur Bekämpfung der baskischen Untergrundorganisation ETA ins Leben gerufen. Diese Todesschwadrone töteten mindestens 28 mutmaßliche ETA-Mitglieder oder Sympathisant_innen. Mit dem Vorwurf der Terrorunterstützung wurden in der Vergangenheit immer wieder legale baskische Medien, Zivilorganisationen und Parteien verboten und zehntausende politische Aktivist_innen festgenommen und verurteilt. So sitzen nach wie vor hunderte baskische politische Gefangene im Gefängnis, die teilweise zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt wurden, welche sie in Knästen weit entfernt ihrer Herkunftsorte absitzen müssen. Zudem veröffentlichte die baskische Regionalregierung zuletzt einen aktuellen Bericht, wonach es seit dem Ende der Franco-Diktatur zu fast 3000 Fällen von Folter durch spanische Sicherheitskräfte an baskischen Aktivist_innen kam. Wie im Umgang mit Katalonien, setzt die spanische Regierung seit jeher auch im Baskenland nicht auf eine politische Lösung, sondern auf Repression, um die Bewegung zu brechen.

Diese autoritäre Handhabe politischer Konflikte zeigt sich in den letzten Jahren auch verstärkt im Umgang mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften. Die starken sozialen und gewerkschaftlichen Proteste, die sich seit 2011 gegen die neoliberale Krisenverwaltung aus sozialen Kürzungen, dem Abbau von Arbeitsrechten und der Aushöhlung demokratischer Teilhabe durch das europäische Austeritätsregime richten, wurden mit einer zunehmenden autoritären Formierung nach Innen beantwortet. Zur Kriminalisierung der Proteste wurden unlängst neue Gesetzesreformen beschlossen, die die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Streikrecht massiv einschränken. Für einfache Handlungen wie unangemeldete Demonstrationen oder die vermeintliche Verunglimpfung von Autoritären werden mittlerweile hohe Gefängnis- und Geldstrafen verordnet. Aktuell drohen etwa dem Rapper Pablo Hasél bis zu vier Jahren und neun Monaten Haft, weil er auf Twitter die Polizei als „Mörder“ und die Monarchie als „eine mafiöse, mittelalterliche Institution“ bezeichnete.

Die Repression gegen Autonomiebestrebungen und soziale Bewegungen sind zwei Seiten derselben Medaille. Die spanische Regierung ist nicht an politischen Lösungen jenseits des Zentralstaatsmodells und der neoliberalen Krisenpolitik interessiert. Aufkommenden Hegemoniekrisen wird mit fortwährender Autoritarisierung begegnet und die Repression gegen Unabhängigkeitsbewegungen als Versuchslabor für den Umgang mit den erstarkten sozialen Bewegungen genutzt.

Deutschland als Handlanger für autoritäre Regime

Puigdemont wurde nicht zufällig in Deutschland festgenommen. Trotz des bereits verhängten Haftbefehls und seines bekannten Aufenthaltsortes wurde er nicht bereits in Finnland oder Dänemark inhaftiert. Die deutsche Regierung betont nun, sich nicht in „innerspanische Angelegenheiten“ einmischen zu wollen. Andere Staaten wie etwa die Schweiz und Belgien haben dagegen bereits klargemacht, Puigdemont prinzipiell nicht auszuliefern. Erneut unterstreicht Deutschland damit seine Handlangerrolle für autoritäre Regime. Weder die postfranquistischen Kontinuitäten noch die Repressionswellen und Menschenrechtsverletzungen gegen die politische Opposition sind ein Grund für die deutsche Regierung, die Zusammenarbeit einzuschränken.

Dies offenbart Parallelen zur zeitgleichen Kooperation der BRD mit dem türkischen Despoten Erdogan. Die deutsche Regierung toleriert offensichtlichte Menschenrechtsverletzungen und liefert dem türkischen Regime und ihren dschihadistischen Verbündeten sogar die nötigen Waffen für ihre Massaker, wie es derzeit in Afrin (Rojava/Nordsyrien) stattfindet. Gleichzeitige wird in der BRD seit Jahren repressiv gegen Anhänger_innen und Strukturen der kurdischen Bewegung vorgegangen. Im Gegenzug macht die Türkei die östliche Flanke des europäischen Migrationsregimes dicht.

Neben der Absicherung der europäischen Außengrenzen auch im Spanischen Staat, ist hier die autoritäre Durchsetzung der Austeritätspolitik durch die Partido Popular und Mariano Rajoy grundlegend wichtig für das Hegemonieprojekt eines neoliberalen Europas. Für die Durchsetzung seiner Interessen und den Erhalt des neoliberalen Status quo gegen mögliche progressive Gegenmodelle, nimmt die BRD so einen europaweiten Rechtsruck in Kauf und unterstützt diesen aktiv.

Noch unerträglicher erscheint diese Situation vor dem geschichtlichen Hintergrund des Schicksals des zweiten Ministerpräsidenten Kataloniens Lluis Companys: Dieser hatte 1934 in Katalonien die linke Republik ausgerufen, musste nach dem Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg ins französische Exil fliehen, wurde dort in Folge der nazi-deutschen Besatzung 1940 von der Gestapo festgenommen, ans faschistische Spanien ausgeliefert und hingerichtet.

Solidarität dem solidarischen Katalonien!

Trotz der Brisanz und der möglichen Reichweite sind ein angemessenes Interesse und notwendige Solidarität seitens der deutschen Linken mit der katalanischen Bewegung bis jetzt ausgeblieben. Das Abstempeln als nationale Unabhängigkeitsbewegung, das Überbetonen der finanziellen Motivation von bürgerlichen Teilen der Bewegung und der mediale Fokus auf die Politikprominenz wie Puigdemont versperren den Blick auf die emanzipatorischen Prozesse, die die starke katalanische Linke und soziale Bewegungen seit Jahren hervorbringen. Klar ist, die Bewegung ist sehr breit aufgestellt und reicht von neoliberalen Konservativen bis zur antikapitalistischen Linken – schließt jedoch ausdrücklich faschistische und andere rechte Kräfte aus. Klar ist aber auch, dass diese neue Unabhängigkeitsbewegung vor allem aus lokalen Bürgerinitiativen entstanden ist und stark auf der Selbstorganisierung in Nachbarschaften baut. Hinter den scheinbar spontanen Ereignissen steht ein jahrelanger Organisierungsprozess, der unter dem Nenner der Unabhängigkeitsbewegung angestoßen wurde. Die Stärke der Basisorganisierung kam in der Durchführung des Referendums und der Wahlen zum Tragen, als sich zehntausende an der illegalen Durchführung des Referendums und der Verteidigung der Wahllokale beteiligt haben. Ebenso soll der verfassungsgebende Prozess zur Republik auf Grundlage von Bürgerversammlungen durchgeführt werden.

Relevante Akteure wie die linksradikale Bewegungspartei Candidatura d“Unitat Popular (CUP) oder anarchistische Initiativen sind in kommunalen Versammlungen verankert und treiben seit Jahrzehnten die Unterstützung alltäglicher Kämpfe auf lokaler Ebene mit einem sozialistischen, ökologischen und feministischen Politikverständnis voran. Dabei wird die Unabhängigkeitsbewegung mit dem Konzept des libertären Munizipalismus zusammengedacht. Dieses Modell geht von einer basisdemokratischen Organisierung in Gemeinden und Stadtteilen als zentralen Ansatzpunkt für politische Veränderung aus. Auch ganz praktisch haben in den vergangenen Jahren kommunale Bürgerlisten hunderte von Rathäusern in Katalonien, aber auch in anderen Teilen des Staates erobert. Nicht zufällig erinnern diese Bewegungen an die politische Grundlagen der Zapatistas im mexikanischen Chiapas oder die kurdische Selbstverwaltung in Rojava, vielmehr ist es das erklärte Ziel von Akteuren wie der CUP, den Demokratischen Konföderalismus auf Europa zu übertragen.

Als Reaktion auf die autoritär durchgesetzte Krisenpolitik der postfranquistischen PP wurde aus der Bewegung in den letzten Monaten ein demokratischer Massenaufstand gegen Austerität, Autoritarismus und Repression. Der Kampf um Unabhängigkeit wird von einflussreichen Akteuren als Kampf gegen Neoliberalisierung gesehen, der Kampf um Souveränität als Kampf für politische und demokratische Selbstbestimmung. Im Februar 2017 demonstrierten in Barcelona Hunderttausende für die Aufnahme von flüchtenden Menschen. Nicht nur dies verweist darauf, dass in Katalonien innerhalb der Unabhängigkeitsbestrebungen und entgegen des europaweiten Rechtstrends eine Diskursverschiebung nach links stattgefunden hat, dem sich auch bürgerliche Parteien anschließen mussten.

Für eine internationalistische Linke – solidarisch und kritisch

Eine internationalistische Linke muss, jenseits einer verbürgerlichten oder salonkommunistischen Borniertheit und projizierten Revolutionsfantasien, in eine kritisch-solidarische Auseinandersetzung mit der katalanischen Bewegung treten. Es gibt vieles zu lernen über die – auch in Deutschland zumindest auf dem Papier viel bemühte – Selbstorganisierung und wie diese in Kombination mit einem leeren Signifikanten die Wirkmächtigkeit für ein solidarisches Projekt entfalten kann. Viel zu lernen gibt es auch über das Verhältnis von Parlamentarismus und der sozialen Bewegung auf der Straße. Die Frage der Unabhängigkeit wäre ohne die Bewegung auf der Straße niemals politisch verhandelt, geschweige denn verteidigt worden. Es war der Druck von Unten, der Puigdemont schließlich zwang, die unabhängige Republik auszurufen. Viele der mit der Unabhängigkeit verknüpften Prozesse finden ohne die parlamentarische Umsetzung statt, vielmehr haben die Leute seit Jahren angefangen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen und nicht auf Entscheidungen von Oben zu warten.

Eine internationalistische Linke muss auch den Blick dafür haben, die Bewegung zu kritisieren. Diese ist widersprüchlich, sowohl bezüglich der verschiedenen Akteure, als auch zwischen Fragen von Identität, Sprache und Kultur und territorialer Unabhängigkeit. Besonders anschaulich wird dieser Widerspruch aus unserer Perspektive, wenn Puigdemont sich in Belgien von rechten flämischen Nationalisten willkommen heißen lässt oder im Neumünsteraner Knast den in der politischen Bedeutungslosigkeit
versunkenen AfD-Aufbauhelfer Lucke empfängt. Sie sind potentiell anknüpfungsfähig für regressive Positionen um Wohlstandschauvinismus und Abschottung. Nicht nur einmal hat sich die deutsche Linke in den letzten Jahrzehnten in den Fallstricken des Internationalismus verfangen. Aus diesen Fehlern lernen heißt aber nicht, keine Solidarität mehr mit progressiven Projekten zu zeigen, sondern diese in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu analysieren auch und Rückschlüsse für die Arbeit vor Ort zu ziehen.

Eine internationalistische Linke muss sich praktisch mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung solidarisieren, weil sonst wieder ein Projekt dem Erdboden gleichgemacht wird, welches das Potenzial hat, die Wahl zwischen Alternativlosigkeit des krisenverwaltenden Kapitalismus und Rechtsruck zu durchbrechen und eine emanzipatorische, anti-rassistische und anti-neoliberale Perspektive mitten in Europa zu etablieren. Es gilt, unserem antifaschistischen Selbstverständnis auch bezüglich der spezifischen post-franquistischen Verhältnisse im spanischen Staat Gültigkeit zu verschaffen. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist objektiv eine nur im historischen Kontext verständliche, antifaschistische Reaktion auf den Franquismus und seine Kontinuitäten im spanischen Staat. Dass sich die BRD nun mit der Verhaftung Puigdemonts mal wieder zur Helfershelferin einer repressiven und reaktionären Regierung gegen ein potentiell progressives Projekt macht, ist für uns nur der naheliegendste Grund, uns gegen die Auslieferung des gewählten Präsidenten der katalanischen Republik an seine spanischen Henker und für unsere kämpfenden Genoss_innen in Katalonien gerade zu machen.

Keine Auslieferung von Carles Puigdemont durch die BRD an den spanischen Staat!
Revolutionäre Perspektiven schaffen und verteidigen – visca la solidaritat internacional!

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