Rotfront statt Querfront – kein rechtsoffener Corona-Aufmarsch in Kiel!

Datum/Zeit
16.08.20
13:30

Veranstaltungsort
Reventlouwiese


ROTFRONT STATT QUERFRONT!
Abstand halten von reaktionären Ideologien und Verschwörungsmärchen – kein rechtsoffener Corona-Aufmarsch in Kiel!

Für Sonntag, den 16. August 2020, gibt es aus dem unsäglichen Milieu von Corona-Verharmloser*innen und -Leugner*innen, Impfgegner*innen, Wutbürger*innen, Verschwörungsideolog*innen, Antisemit*innen und Faschist*innen Bestrebungen, eine norddeutschlandweite Großveranstaltung in Kiel durchzuführen. Dies ließen die Organisator*innen der zahlreichen kleinen Corona-Kundgebungen der letzten Monate in der Landeshauptstadt verlauten und wollen dabei Gleichgesinnte aus anderen Städten im Norden an ihrer Seite wissen. Wir werden einen solchen rechtsoffenen Auflauf nicht widerstandslos hinnehmen und rufen alle Kieler Antifaschist*innen dazu auf, dagegen auf die Straße zu gehen!

So. 16.08.2020 | Antifaschistische Kundgebung | 13.30 Uhr | Kiellinie (Höhe Ruderclub Germania) | Kiel

Vorabenddemo „Gegen Verschwörungsideologien und Klimazerstörung“ von Fridays for Future Gaarden: Samstag, 17.30 Uhr, Exerzierplatz

Die Sozialdarwinist*innen und Corona-Verharmloser*innen wollen ab 14 Uhr auf der Reventlouwiese ihre Mythen verbreiten, die antifaschistische Gegenkundgebung findet ab 13.30 Uhr in unmittelbarerer Nähe an der Kiellinie (Höhe Ruderclub Germania) statt.

Da wir nicht die anderen sind, rufen wir alle Teilnehmer*innen dazu auf, bei den Gegenaktionen wie gehabt Sicherheitsabstände einzuhalten und Masken zu tragen. Solidarisch gegen Corona!

Aufrufflugblatt als PDF | Plakat zum AusdruckAufruf TurboKlimaKampfGruppe Kiel

 

Der selbsternannte „Corona-Widerstand“ in Kiel

Bereits seit April treten Gegner*innen der staatlichen Pandemie-Bekämpfung auch in Kiel mit Aktionen in die Öffentlichkeit, zwischenzeitlich mehrmals pro Woche. Bildeten diese zunächst noch ein uneindeutiges und heterogenes Spektrum unterschiedlicher Akteur*innen ab, war es bereits nach wenigen Wochen auf einen harten Kern zusammengeschrumpft. Dieser orientierte sich an der mittlerweile gescheiterten Parteieninitiative „Widerstand2020“, die ausdrücklich keine Berührungsängste nach rechts hatte. Der vorgebliche Kampf um Grundrechte rückte auf den Kundgebungen zunehmend in den Hintergrund, stattdessen wurde die Pandemie systematisch verharmlost, jegliche Maßnahme zum Schutz gefährdeter Personen lächerlich gemacht und zurückgewiesen, sich an einer angeblich drohenden Impfpflicht abgearbeitet und absurdesten Verschwörungsideologien eine Bühne geboten, die wiederholt auch in rassistische, NS-relativierende und offen antisemitische Fahrwasser abglitten. Ein offenbarendes Lowlight war z.B., als dort verkündet wurde, dass „Black Lives matter, Deutsche jedoch mehr“.

Treibende Kraft hinter den Kundgebungen, zu denen selten mehr als wenige Dutzend Teilnehmer*innen mobilisiert werden konnten, ist der notorische Selbstdarsteller Björn Dinklage aus Heikendorf, der sich unter dem Namen Björn de Vil als durchaus gefragter Kleinkünstler betätigt. Er meldete zahlreiche Versammlungen an, stellte Infrastruktur zur Verfügung, trat mit Jongliereinlagen in Erscheinung und moderierte die Veranstaltungen mit nicht enden wollenden Monologen. Als vermeintlicher Fachmann sprach zudem immer wieder der auf Akupunktur spezialisierte Arzt Olaf Duwe, der in einer Praxis am Sophienblatt praktiziert. Die Teilnehmer*innen organisieren sich über Messenger-Gruppen, in denen das, was in der Öffentlichkeit noch halbherzig kaschiert wird, seinen unwidersprochenen Platz hat: Offener Rassismus insbesondere gegen Geflüchtete, Beiträge einschlägiger neofaschistischen Quellen und unverhohlener Antisemitismus. Insbesondere Duwe entpuppte sich hier als übler rechter Hetzer. Auch die Leitung des Kieler Veranstaltungszentrums Traum-GmbH reihte sich mit der Verbreitung verschwörungsideologischer Propaganda ideell in die krude Szenerie ein und wird hier dafür gefeiert.

Nachdem die regelmäßigen Kleinveranstaltungen des Kieler „Corona-Widerstands“ auf dem Asmus-Bremer-Platz seit einigen Wochen eingeschlafen sind, ist in dem Spektrum nun eine Tendenz zur Beteiligung an überregionalen Demos zu beobachten. So demonstrierten bereits am 11.07. mehrere hundert Menschen in Eckernförde gegen jegliche Corona-Vorkehrungen, darunter auch zentrale Protagonist*innen aus Kiel. Führende organisatorische Kraft der Corona-Demos in Eckernförde ist Leif Hansen. Ungeachtet seiner politisch zutiefst widersprüchlichen Parteienkarriere ist dieser in den Fokus von Antifaschist*innen geraten, weil er 2015 als Redner bei einer Dresdner „Pegida“-Demonstration sowie bei deren Leipziger Ableger „Legida“ aufgetreten ist.

Wenn euphorisierte Fanatiker*innen marschieren

Auch an dem jüngsten bundesweiten Aufmarsch von bis zu 20.000 Sozialdarwinist*innen, Esoteriker*innen und Neofaschist*innen am 01.08. in Berlin, die ungeachtet der derzeit wieder ansteigenden Corona-Fallzahlen für die freie Entfaltung des tödlichen Virus auf die Straße gingen, beteiligten sich Gruppen aus Kiel und Schleswig Holstein. Auch wenn das fanatisierte Spektrum entgegen seiner überheblichen Selbsteinschätzung weit davon entfernt ist, eine Massenbewegung zu sein, sind zentrale Großveranstaltungen mit überregionaler Beteiligung für die Teilnehmer*innen wirksame Events der gegenseitigen Selbstbestätigung, die für die weitergehende Mobilisierung essentiell ist. Als Vernetzungsort eines rechten Sumpfes aus Antisemit*innen, Irrationalist*innen und organisierten Rechten, der den rassistischen „Pegida“-Protesten in Teilen sehr ähnelt, sind die oft skurril anmutenden Straßenproteste und dazugehörigen Social Media-Kanäle nicht zu unterschätzen.

Dass längst nicht mehr nur ideologisch stringente Neonazis zur realen Bedrohung werden können, haben die mörderischen Attentate von Christchurch, Halle, Hanau und anderswo ans Tageslicht gebracht. Es sind widersprüchliche Patchwork-Ideologien, die auch ohne enge Kontakte in organisierte Strukturen von zu Hause aus am Computer abrufbar sind und zum geistigen Fundament von rassistischen und antisemitischen Mördern werden. Der Allround-Chauvinist Donald Trump in den USA oder der Faschist Jair Bolsonaro in Brasilien wurden mit gezielt im Wahlkampf verbreiteten Cocktails aus Verschwörungsideologien, Kontrafaktizität und klassischem rechten Menschenhass in Präsidentenämter gehievt. Zu ihrer treuesten Basis gehören die Anhänger*innen des neuen Irrationalismus. Nicht ohne Grund gilt insbesondere Trump auch auf den deutschen Corona-Demos als Erlöser, auch die Symbole der US-amerikanischen QAnon-Bewegung, die diesen Glauben vertritt, sind allgegenwärtig.

Wo ist Euer Widerstand?

Dass sich ein solches Sammelsurium an Sozialdarwinist*innen, Reaktionär*innen und Irrationalist*innen als Widerstand versteht, ist eine Farce. Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass soziale Forderungen auf den Kundgebungen fast vollständig fehlen. Über Stunden wird sich hier an Luxus-Problemen abgearbeitet, wie beim Einkaufen eine Maske tragen zu müssen, werden YouTube-Beweise für die angebliche Ungefährlichkeit des Virus vorgetragen, oder sich in wahnhafte Annahmen versteift, dass z.B. der Weltbevölkerung im Rahmen von Impfungen Mikrochips implantiert werden sollen. Hingegen verlieren die Pseudo-Rebellen kein Wort darüber, dass viele Menschen seit der Pandemie ihren Job verloren haben, das Kurzarbeitergeld bei vielen nicht zum Überleben reicht, dass Aktienkonzerne wie die Lufthansa durch staatliche Milliarden gerettet werden, während Kulturschaffende vor der Pleite stehen, dass trotz des Virus an vielen Orten, etwa in der Fleischindustrie, unter lebensgefährlichen Bedingungen weitergearbeitet werden musste oder dass Beschäftigte aus der Pflege, der Versorgung und der Logistik, die während des Lockdowns der gesamten Gesellschaft den Rücken freigehalten haben, mal wieder nur mit halbherzigen Dankesgesten statt mit angemessenen Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen abgespeist werden. Auch davon, dass arme und mehrheitlich migrantische Menschen in Göttingen tagelang in einem Wohnhaus zwangsquarantiert wurden, dass an den Rändern Europas trotz Corona nach wie vor Zehntausende in Geflüchtetenlagern eingepfercht sind oder dass feiernde Jugendliche, insbesondere wenn sie nicht deutsch genug aussehen, wegen Lappalien von Bullen schikaniert werden, während zeitgleich Konsum und Massentourismus wieder hochgefahren wurden, erfährt man bei ihnen nichts. Auf all diese Dinge wiesen, auch in Kiel, andere hin. Die Corona-Pandemie hat zahllose Probleme und falsche Prioritäten hervorgebracht, die auch auf der Straße kritisiert werden müssen und Widerstand bedürfen. Zur Sprache gebracht haben diese jedoch die, die es immer tun: Antirassist*innen, Sozialist*innen, Antifaschist*innen, Gewerkschafter*innen, Klimabewegte, Linksradikale.

Die Corona-Proteste, deren Inszenierung als ausgegrenzte Opposition sich als Witz offenbart, wenn in Berlin Tausende in bewusst verantwortungsloser Missachtung sämtlicher Hygienemaßnahmen von den Ordnungsbehörden völlig ungestört demonstrieren können, während in der selben Stadt wenige Stunden später eine linke Demo von der Polizei brutal angegriffen wird, weil sie vorbildlicherweise Masken trägt. Sie sind ein Schlag ins Gesicht von allen, die sich seit Monaten nicht in die Öffentlichkeit trauen können, weil sie zu besonders gefährdeten Gruppen gehören, von denen, die erkrankt sind, von den Angehörigen der Todesopfer des Virus, von denen, die seit April Solidarität organisiert haben und von denen, die unter großen persönlichen Einschränkungen das gesellschaftliche Leben weiter am Laufen gehalten haben.

Die Verschwörungsideolog*innen und Sozialdarwinist*innen sind weder Widerstands- noch Massenbewegung. Aber sie sind im Bund mit BILD-Zeitung, AfD und der FDP das den Diskurs verschiebende Fußvolk derjenigen Kapitalfraktionen, die in dem öffentlichen Ringen um staatliche Vorbeugungsmaßnahmen permanent ihren Profit gegen die Gesundheit der Menschen durchsetzen. In den Schlachthäusern von Tönnies sind die Positionen des „Corona-Widerstands“ durchgehend erfüllt gewesen: Hier gab es zu keinem Zeitpunkt weder Abstandsregeln noch Masken. Sie sind fest verhaftet auf der Seite der bestehenden Ordnung, die genau das will: Das Recht des Stärkeren und Mehrwertproduktion. Ihr Irrationalismus ist Ausgeburt der seit dem proklamierten Ende der Geschichte vorherrschenden neoliberalen Dogmen There Is No Alternative und There Is No Such Thing As Society. Es ist die reaktionäre Rebellion der Entfremdeten, der Vereinzelten, der Autoritären, des narzisstischen Bürgers, dem jemand sein Spielzeug wegnehmen will, und der mit der Gesellschaft Verblödeten, gegen das Soziale und die Solidarität. Das Soziale und die Solidarität wurden jedoch schon lange vor Corona drangsaliert, und zwar durch die Herrschenden zur Aufrechterhaltung ihres ausbeuterischen, zerstörerischen, verdummenden und auf Rassismus und Patriarchat aufgebauten Systems: Des Kapitalismus. Nicht gegen das Tragen von Masken, sondern gegen diesen gilt es zu rebellieren und Widerstand aufzubauen.

Kein Fußbreit

Aus dieser Perspektive muss die nun bekannt gewordene Ankündigung für den 16.08. bewertet und beantwortet werden. Organisiert Euch, beteiligt Euch an den Gegenaktionen und werdet aktiv gegen jeden Versuch, einen norddeutschlandweiten rechtsoffenen Aufmarsch gegen die Solidarität in Kiel durchzuführen.

Klassenkampf statt Aberglaube – Solidarität statt Recht des Stärkeren!

Auf die Straße gegen jeden Faschismus!

Autonome Antifa-Koordination Kiel